Nachrichten & Pressemeldungen - Lieferkettengesetz

Offener Brief: Warum möchten Sie das EU-Lieferkettengesetz unwirksam machen, Herr Voss?

Obwohl sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag für einem wirksames EU-Lieferkettengesetz ausgesprochen hat, versuchen deutsche Europa-Abgeordnete – insbesondere der Europäischen Volkspartei (EVP) – aktiv, das zukünftige EU-Gesetz unwirksam zu machen. Gemeinsam mit einem Bündnis von 130 Entwicklungs-, Umwelt-, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften tritt FEMNET für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz ein und wendet sich mit einem Offenen Brief an den Abgeordneten, Axel Voss.

 

Logos FEMNET und Initiative Lieferkettengesetz

FEMNET
Kaiser-Friedrich-Straße 11
53113 Bonn
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

 

Herrn
Axel Voss, MdEP
ASP 15 E 146
Rue Wiertz
B-1047 Brüssel

 

Bonn, 20.01.2023

Menschenrechte und Umweltschutz in Lieferketten: Warum möchten Sie das EU-Vorhaben wirkungslos machen, Herr Voss?

Sehr geehrter Herr Voss,

wir wenden uns an Sie als Frauenrechtsorganisation, die sich gemeinsam mit Nichtregierungs­organi­sationen in Bangladesch und Indien seit über 15 Jahren für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie einsetzt. Die Näherinnen arbeiten unter teilweise schlimmen Bedingungen: Geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz, von verbalen Belästigungen bis hin zu Vergewaltigung und Mord, Mindestlöhne, von denen man nicht leben kann, erzwungene Überstunden, Verhinderung von Betriebsräten.

Die EU hat die historische Chance, diesen Zuständen mit einem wirksamen EU-Lieferkettengesetz ein Ende zu setzen, das insbesondere die Rechte von Frauen schützt. Im vergangenen Jahr haben sich die Kommission und der Rat zu dem Vorhaben positioniert. Jetzt kommt es auf die Position des Europaparlaments an. Doch wir sind entsetzt über die Vorschläge, die Sie und andere Vertreter*innen der Europäischen Volkspartei (EVP) im Rechtsausschuss eingebracht haben. Ihre Vorschläge würden das Vorhaben nahezu wirkungslos machen. Selbst das ohnehin lückenhafte deutsche Lieferkettengesetz müsste dann weiter abgeschwächt werden.

Gemeinsam mit einem Bündnis von 130 Entwicklungs-, Umwelt-, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften ist FEMNET der Überzeugung: Es darf sich für Unternehmen nicht länger lohnen, Geschäfte auf dem Rücken von Menschen und Umwelt zu machen. Wir treten deshalb für ein wirksames EU-Lieferkettengesetz ein. Für uns heißt das: Es muss ausnahmslos die gesamte Wertschöpfungskette erfassen. Es muss präventiv wirken, also Menschen- und Frauenrechtsverletzungen, Umwelt- und Klimaschäden verhindern, bevor diese eintreten. Die oben genannten Näherinnen müssen die Möglichkeit erhalten, Schadensersatz von den Unternehmen, die sie geschädigt haben, vor Zivilgerichten in der EU geltend zu machen.

Die von Ihnen im Rechtsausschuss eingebrachten Vorschläge würden das Gegenteil bewirken. Geht es nach Ihnen, soll das EU-Lieferkettengesetz vollständig erst ab 2033 in den Mitgliedstaaten angewandt werden – viel zu spät. Vollumfänglich sollen die Sorgfaltspflichten nur mit Blick auf direkte Geschäftspartner gelten, so wie beim deutschen Gesetz. Tiefer in der Lieferkette sollen Unternehmen erst dann aktiv werden, wenn sie von dortigen Menschenrechtsverletzungen erfahren. Das heißt: Wenn der Schaden schon eingetreten ist. So kam es 2021 in Indien zur Vergewaltigung und anschließenden Ermordung einer Textilarbeiterin, die für H&M produzierte. Nur mit starken Sorgfaltspflichten für die gesamte Lieferkette kann verhindert werden, dass europäische Unternehmen solche Missstände durch ihr Wirtschaften indirekt unterstützen.

Auch in Europa kommt es zu moderner Sklaverei, z.B. im Obst- und Gemüseanbau. Die Sorgfaltspflichten von Unternehmen dürfen sich nicht, wie von Ihnen gefordert, nur auf das Gebiet außerhalb Europas erstrecken!

Die nachgelagerte Lieferkette und den Finanzsektor möchten Sie komplett ausklammern. Das heißt: Der Export giftiger Pestizide oder Waffen wäre weiterhin möglich. Auch Investitionen in Bergbauprojekte, die zu massiven Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden führen, würden nicht sanktioniert. Klimaschutzmaßnahmen möchten Sie aus der Richtlinie streichen. Auch angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Klimakrise sind diese Forderungen für uns absolut inakzeptabel.

Sie und weitere Vertreter*innen der EVP sprechen sich zwar im Prinzip für eine zivilrechtliche Haftung von Unternehmen für verursachte Schäden aus. In der Praxis würde die von Ihnen vorgeschlagene Begrenzung der Haftung auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln es für Betroffene aber fast unmöglich machen, vor einem Gericht in der EU Schadensersatz erfolgreich einzuklagen, zumal Betroffenen keinen Zugang zu internen Unternehmensunterlagen haben. Selbst wer durch das Verhalten eines europäischen Unternehmens seine Lebensgrundlage verliert, würde in der Regel also keinen Schadensersatz erhalten. Statt Betroffene zu stärken schaffen die von Ihnen eingebrachten Vorschläge unüberwindbare Hürden.

FEMNET hält es für bedrohlich, Freifahrtscheine für Unternehmen zu erwirken, die sich zertifizieren lassen oder einer Multistakeholder-Initiative angehören. Diese von einigen Abgeordneten vorgeschlagenen „safe harbour“ Lösungen sind Schlupflöcher. Zertifizierungen und Mitgliedschaften in MSI dürfen nicht dazu dienen, dass Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten auf Zertifizierer abschieben oder dass Unternehmen für leichte Fahrlässigkeit nicht mehr zur Haftung gezogen werden können.

Sehr geehrter Herr Voss, warum möchten Sie das EU-Lieferkettengesetz wirkungslos machen? Der Schutz von Menschen/Frauenrechten, Umwelt und Klima darf kein Schönwetterthema sein, sondern muss auch in Krisenzeiten oberste Priorität haben. Wir appellieren an Sie: Bitte überdenken Sie Ihre Vorschläge zum geplanten EU-Lieferkettengesetz und setzen Sie sich für eine wirksame Regelung ein!

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Gisela Burckhardt
Vorstandsvorsitzende von FEMNET

 

sw logos mitglieder ini lieferkettengesetz

Jetzt spenden