BANGLADESCH
174 Millionen Einwohner*innen
4-5 Millionen Beschäftigte in der Textilindustrie

Im Profil: Bangladeschs Bekleidungsindustrie

Bangladesch zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Etwa 30 Millionen Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Das entspricht etwa 18 Prozent der Gesamtbevölkerung. Gleichzeitig ist Bangladesch nach China der größte Textil- und Bekleidungsproduzent weltweit. Die Europäische Union und die USA gehören zu den Hauptabnehmern der dort produzierten Textilien.

Bangladesch in Zahlen

  • Bevölkerung (2024): 174,8 Millionen[i]
  • Bekleidungs–Exportanteil (2024): 84,58 Prozent, ca. 47 Milliarden USD im Fiskaljahr 2022-2023[ii]
  • Anzahl der Textilhersteller (2022): 4.500[iii]
  • Beschäftigte in der Bekleidungsindustrie (2020): 4-5 Millionen, 54 Prozent Frauen[iv]
  • Mindestlohn (2022): 12.500 Taka /Monat (ca. 97 €/Monat)[v]
  • Existenzsichernder Lohn, geschätzt von Asia Floor Wage (2022): 53.104 Taka (450 € /Monat)[vi]

Mehr als 84 Prozent der Exporterlöse Bangladeschs werden im Textilsektor erwirtschaftet. Rund 4,5 Millionen Menschen, darunter 54 Prozent Frauen, verdienen ihren Lebensunterhalt in diesem Sektor. Die niedrigen Lohnkosten haben zu einer enormen Expansion des Textilsektors in den vergangenen Jahren geführt: bangladeschische Arbeiter*innen werden im weltweiten Vergleich mit Abstand am schlechtesten bezahlt.

Trotz der schweren Auswirkungen von COVID-19, die zu Arbeitskräftemangel und logistischen Schwierigkeiten führten, verzeichnete die Industrie auch 2020-21 einen Anstieg der Exporte von Fertigkleidung (Ready-Made-Garments, kurz: RMG) um 12,55 Prozent, was eine starke Erholung der Nachfrage aus den wichtigsten Märkten in Europa und Nordamerika zeigt.

 

Frauen in der Bekleidungsindustrie

Die weiblichen Arbeiterinnen im Textilsektor sind überwiegend in untergeordneten, schlecht bezahlten Positionen beschäftigt. Meist handelt es sich um junge Frauen aus ländlichen Gebieten, die aufgrund einer geringen Schulausbildung und des Arbeitsplatzmangels in den ländlichen Gebieten gezwungen sind in die Städte zu ziehen, um dort Geld zu verdienen. Oft sind sie Alleinernährerin ihrer Kinder und Ehemänner, die häufig ohne Arbeit sind. Monatlich verdienen die weiblichen Arbeitskräfte rund 25 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Bei einem regulären Arbeitsmonat (ohne Überstunden) beträgt das durchschnittliche Gehalt 9.984 Taka (9.669 Taka für Frauen und 10.928 Taka für Männer), das entspricht etwa 79,39 Euro. Gewerkschaften forderten 2023 eine Erhöhung des monatlichen Mindestlohns für Bekleidungsarbeiter auf 23.000 Taka (182,92 Euro)[vii] (von denen 65 Prozent das Grundgehalt ausmachen müssen). Tatsächlich wurde der gesetzliche Mindestlohn jedoch nur auf 12.500 Taka (97 Euro Stand 08/2024) erhöht. Dieser Wert liegt weit unter dem Existenzniveau.[viii] Daher arbeiten die meisten Frauen bis zu 52 Stunden im Monat zusätzlich (gesetzlich erlaubt durch die Regierung), ohne Feiertage.

Eine Umfrage von Garments Workers Diaries (GWD) aus dem Jahr 2022, bei der 1300 Arbeiter*innen in Chittagong, Dhaka, Narayanganj und Gajipur befragt wurden, gibt an, dass 50 Prozent der Frauen im Zeitraum Januar bis März 2022 Überstunden machten. Über zwei Drittel der Arbeiter*innen (69 Prozent, Männer und Frauen) gaben an, dass sie keine Wahl haben, ob sie Überstunden machen oder nicht. Etwa die Hälfte derjenigen, die sagten, dass sie keine Wahl haben, müssen mit einer Strafe rechnen, wenn sie die Überstunden auf Anfrage nicht leisten.[ix] Neben den ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen und hohen körperlichen Belastungen, sehen sich weibliche Beschäftigte oft mit geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung konfrontiert.  In RMG-Fabriken sind sexuelle Gewalt oder Belästigung am Arbeitsplatz weit verbreitet; in Bangladesch haben 80 Prozent der weiblichen Bekleidungsarbeiterinnen ein solches Verhalten am Arbeitsplatz entweder selbst erlebt oder beobachtet.[x]

Junge Textilarbeiterinnen bei sich zuhause, Dhaka, Bangladesch, 2019. Foto: &Copy; Sina Marx | FEMNETTextilarbeiterinnen bei sich zuhause, Dhaka, Bangladesch 2019 © Sina Marx / FEMNET

Unterdrückung von Gewerkschaften

In Bangladesch werden die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen bedroht. Die meisten Gewerkschaften wurden nach der Tragödie von Tazreen und Rana Plaza gegründet, da der Druck auf die Regierung zu hoch wurde. Hierbei handelt es sich häufig um von Fabrikmanagement ausgewählte Personen anstatt legitimer Vertretungen der Arbeiter*innen. Der Zusammenschluss von Arbeiter*innen in Form von Gewerkschaften in Bangladesch ist immer noch sehr selten. Laut einer Studie des Bangladesh Institute for Labour Studies (BILS) haben 83 Prozent der landesweiten Fabriken keine Gewerkschaften, bei den restlichen 17 Prozent wird vermutet, dass diese entweder nicht mehr existieren oder nicht funktional sind. In Bangladesch erweist sich die Gründung und offizielle Anerkennung von Gewerkschaften als sehr schwierig. BILS zufolge bestätigten 61 Prozent der Fabrikbesitzer*innen, dass Gewerkschaften nur mit einer Erlaubnis gegründet werden können. Nur acht Prozent der befragten Arbeiter*innen gaben an, in einer Gewerkschaft involviert zu sein. Gründe dagegen seien vor allem Drohungen, mögliche Bestrafungen, Angst vor Belästigung und einer möglichen Vergeltung durch die Polizei oder sogenannte „local goons“ (von Arbeitgeber*innen zur Einschüchterung angeheuerte Handlanger). Immer wieder werden bei Zusammenstößen zwischen der Polizei und streikenden Textilarbeiter*innen Menschen getötet, Aktivist*innen gefoltert oder entführt.

In Bangladesch, Kambodscha, Indien, Indonesien und Sri Lanka interviewte das Business & Human Rights Resource Centre 24 Gewerkschaftsführer*innen und befragte 124 Gewerkschaftsaktivist*innen und Arbeitsrechtsverteidiger*innen. Fast zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sich die Situation für die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen verschlechtert hat, was zu einer verstärkten Ausbeutung der Arbeiter*innen führt.[xi]

Statt den Gewerkschaften sind in Bangladesch häufig Komitees stärker vertreten. Hierbei sind mit 82 Prozent in den landesweiten Fabriken vor allem Mitbestimmungsausschüsse („participation committees“) geläufig. Laut BILS werden diese jedoch von mehr als der Hälfte der Arbeiter*innen für ineffektiv gehalten.

Tragödie in Bekleidungsfabriken: Einsturz des Rana Plaza und Brand in der Tazreen-Fabrik

Traurige Berühmtheit erlangte Bangladesch mit einer der größten Industriekatastrophen, die es je gegeben hat: Am 24. April 2013 stürzte das Fabrikgebäude Rana Plaza ein und riss 1.134 Näher*innen in den Tod, mehr als 2.500 Menschen wurden verletzt. In dem Gebäude produzierten fünf Textilfabriken, viele für große Modefirmen, deren Produkte auch in unseren Kleiderschränken hängen. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) forderte in Reaktion auf den Einsturz eine Entschädigungssumme von 30 Millionen US-Dollar für die Opfer und ihre Familien. Im Jahr 2014 erhielten die Betroffenen die erste Entschädigungsrate, die in den folgenden Jahren vollständig ausgezahlt wurde.

Nur fünf Monate vor dem Einsturz von Rana Plaza hatten mindestens 112 Arbeiter*innen ihr Leben in einem weiteren tragischen Unfall verloren, als sie in der brennenden Tazreen Fashions Fabrik am Stadtrand von Dhaka eingeschlossen waren. Tazreen produzierte für die deutschen Discounter KiK, Lidl, und C&A, außerdem für Sean John´s Brand Enyce. Darüber hinaus hatten mindestens 14 internationale Kund*innen zu diesem Zeitpunkt aktuelle oder kürzlich aufgegebene Bestellungen dort platziert. Einige dieser Kund*innen waren bereits massive auf Sicherheitsmängel in den Arbeits- und Produktionsbedingungen aufmerksam gemacht worden. Dennoch gaben sie weiterhin Bestellungen auf.

Nach dem gestiegenen Druck auf die Regierung und die Marken wurden in den letzten Jahren einige positive Entwicklungen beobachtet: Der ACCORD, das Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch, wurde von nahezu 200  überwiegend europäischen Unternehmen unterzeichnet. Dieses Abkommen ist eine umfassende und unabhängige Vereinbarung, die darauf abzielt, alle Bekleidungsfabriken in Bangladesch zu einem sicheren Arbeitsplatz zu machen. Das Abkommen arbeitet unabhängig und neutral und hat sich im Ausland und bei den Arbeiter*innen einen guten Ruf und Glaubwürdigkeit erworben. Dank des Abkommens werden künftig 2000 Fabriken auf ihre Sicherheitsstandards überprüft. Die Ergebnisse werden auf einer öffentlich zugänglichen Website hochgeladen. Im Jahr 2021 haben die Unterzeichner des ACCORD-Abkommens eine neue Phase ihrer Partnerschaft erreicht und entwarfen das Internationale Abkommen über Gesundheit und Sicherheit in der Textil- und Bekleidungsindustrie (International ACCORD). Dieses rechtsverbindliche Abkommen erleichtert die Umsetzung der länderspezifischen Sicherheitsprogramme des Abkommens, die derzeit in Bangladesch und Pakistan durchgeführt werden, und legt den Grundstein für potenzielle künftige Programme in anderen Bekleidungsherstellungsländern.

Darüber hinaus wurde nach dem Tazreen-Vorfall 2014 eine Vereinbarung unterzeichnet, um Zahlungen speziell zur Deckung des Einkommensverlustes und zur medizinischen Behandlung zu leisten. Diese Vereinbarung unterzeichneten unter anderem die IndustriALL Global Union, die Clean Clothes Campaign, C&A und die C&A Foundation. Sie führte zur Gründung des Tazreen Claims Administration Trust im September 2015. Es dauerte über drei Jahre, bis die Entschädigung für die betroffenen Familien gesichert war.

Mangelnde Durchsetzung von Recht

Die rechtliche Situation ist in Bangladesch nicht grundlegend schlecht: Die bangladeschische Rechtsordnung enthält eine Vielzahl von Schutzmaßnahmen. Das Land hat sieben der elf ILO-Kernarbeitsnormen ratifiziert (2022 hat die ILO die zwei ILO-Konventionen 155 und 187 für Gesundheit am Arbeitsplatz den bisherigen neun Kernarbeitsnormen hinzugefügt, die für alle ILO-Mitgliedsstaaten verbindlich sind, die Bangladesch bisher nicht ratifiziert hat), ebenso die drei wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen mit arbeitsrechtlichen Bezügen. Seit dem Erlass des nationalen Arbeitsgesetzes im Jahr 2006 hat sich der Arbeitnehmer*innenschutz leicht verbessert.  So deckt das Arbeitsgesetz etwa die Bereiche Belästigung und Diskriminierung, Kinderarbeit, Mitgliedschaft in Gewerkschaften, Urlaubsregelungen und Sicherheit am Arbeitsplatz vollständig ab. Gleichzeitig enthält es noch Schwachstellen in Hinblick auf Mindestalter und Niedriglöhne. Das Problem liegt vor allem in der mangelnden Durchsetzung von Recht durch die Behörden und einem fehlenden wirksamen Rechtsschutz für die Betroffenen. Mangelnde Kontrollen, schwach ausgebildete Rechtsstaatsstrukturen, unterbesetzte und unterfinanzierte Gerichte, Korruption und Vetternwirtschaft sind weit verbreitet.

Quellen

[i] https://www.worldometers.info/world-population/bangladesh-population/

[ii] https://asianews.network/bangladeshs-garment-exports-earned-a-record-47-38-billion-in-2023/

[iii] https://www.mordorintelligence.com/industry-reports/bangladesh-textile-manufacturing-industry-study-market

[iv] https://asiagarmenthub.net/Members/32743b13312543c4afaaab9cb0ef22c7/2023-03-giz-eti-bracu-study-on-the-decline-of-women-workers-in-the-textile-industry-in-bangladesh_final.pdf/view ; https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---asia/---ro-bangkok/---ilo-dhaka/documents/publication/wcms_754669.pdf

[v] https://tradingeconomics.com/bangladesh/minimum-wages

[vi] https://asia.floorwage.org/living-wage/calculating-a-living-wage/

[vii] https://www.ecotextile.com/2023030330437/social-compliance-csr-news/bangladesh-to-review-garment-worker-pay.html

[viii] https://asia.floorwage.org/living-wage/calculating-a-living-wage/

[ix] https://workerdiaries.org/wp-content/uploads/2022/08/Excess-Work-Hours.pdf

[x] https://actionaid.org/news/2019/80-garment-workers-bangladesh-have-experienced-or-witnessed-sexual-violence-and und https://actionaid.org/sites/default/files/publications/ActionAid%20briefing%20paper%20on%20Bangladesh%20garment%20workers%20FINAL.pdf

[xi] https://www.business-humanrights.org/en/from-us/media-centre/crackdown-on-trade-unions-leads-to-increased-worker-exploitation-in-asias-garment-sector/

 

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