Nachrichten aus den Produktionsländern Nachrichten aus Bangladesch © Sina Marx | FEMNET Bangladesch im Umbruch: Eindrücke von einer Reise im November 2024 Im November 2024 reisten FEMNET-Mitarbeiterinnen nach Bangladesch, um Partnerorganisationen zu besuchen und die Lage vor Ort zu verstehen. Die politischen und sozialen Spannungen im Land haben sichtbare Spuren hinterlassen, doch es gibt auch erste Anzeichen von Hoffnung und Wandel. Verändertes Straßenbild und die Folgen der Proteste Bangladeschs Straßen wirken etwas anders: Es fällt auf, dass man kaum noch Polizisten sieht, Geschäfte werden weniger bewacht, es gibt eine gewisse Unsicherheit, aber ansonsten geht alles erstaunlich ruhig wieder seinen Gang. Insbesondere, wenn man bedenkt, wie dramatisch die Lage noch im Juli und August war. Damals eskalierte eine Protestwelle, im Zuge derer insgesamt 1.475 Menschen – darunter 200 Arbeiter*innen - getötet und rund 150.000 verletzt wurden. Allein 67 unschuldige Kinder verloren durch Polizeigewalt ihr Leben, knapp 11.000 Menschen wurden festgenommen, und in über 1000 Fällen wurde Anklage erhoben.[i] Auslöser war eine geplante Quotenregelung, der zufolge knapp ein Drittel der staatlichen Stellen für sogenannte „Freedom Fighters“ aus dem Unabhängigkeitskampf und deren Angehörige freigehalten worden wäre, also vor allem für Menschen aus dem Umfeld der Regierungspartei. Die damalige Regierungspräsidentin Hasina schüttete Öl ins Feuer, als sie die Studierenden beschuldigte, gegen die Befreiungsbewegung zu sein und als gesteuerte Aufwiegler (“Razakars”) der Oppositionsparteien diffamierte, was zur Solidarisierung von Hunderttausenden führte. Bei den Protesten wurde ein Student erschossen, woraufhin sich auch die privaten Hochschulen dem Protest anschlossen. Der Angriff auf die Jugend empörte die Menschen. Fünf Tage (20.-25.7.2024) lang gab es den Ausnahmezustand, in dem die Regierung das Internet sperrte und eine strikte Ausgangssperre verhängte. Doch dies bekräftigte die Menschen nur: Die Proteste erreichten ihren Höhepunkt am 5. August, als Millionen von Menschen erfolgreich den Rücktritt der Präsidentin forderten. Die Rolle von Polizei und Militär Die brutalen Repressionen der Polizei, die größtenteils von Sheikh Hasina eingesetzt ist , führten zu einer breiten Solidarität der Bevölkerung gegen das Regime. Polizeistationen wurden von wütenden Menschen in Brand gesetzt, wobei auch zahlreiche Polizisten – Gerüchte sprechen von 3000 Polizisten - ihr Leben verloren. Das Militär hingegen versteht sich als Wahrer der Unabhängigkeit und verhielt sich parteipolitisch neutral und griff nicht in die Proteste ein. Viele Militärangehörige aus Bangladesch gehen zu einem Einsatz bei der UN-Friedensbrigade in andere Länder, das ist hoch angesehen und gut bezahlt und drohte nun wegzubrechen. Auch konnten Bangladeschis, die im Ausland arbeiteten, keine Gelder mehr an ihre Familien überweisen. Dies, vor allem aber die starken Proteste von großen Teilen der Bevölkerung, führten dazu, dass das Militär den Rücktritt von Hasina verlangte, die am 5. August außer Landes floh. Mit ihr verließen viele Unternehmer*innen der Wirtschaftsverbände BGMEA und BKMEA sowie zahlreiche Parlamentsabgeordnete das Land. Andere wurden verhaftet, darunter der Besitzer einer der größten Textilfabriken des Landes - BEXIMCO -der unter der früheren Regierung Finanzminister war. Laut Kalpona Akter, Direktorin von BCWS, wurden mindestens 10-15 weitere ehemalige Minister verhaftet. Gleichzeitig wurde bekannt, dass enorme Summen ins Ausland geschafft wurden. Schätzungen zufolge handelt es sich hierbei um rund 115 Billionen BDT (rund 1 Milliarde Euro) – ein Verlust, der Bangladesch, ohnehin belastet von Überschuldung und einer starken Inflation, weiter schwächt. Eine Interimsregierung als Hoffnungsträgerin? Die Studierenden riefen den weltweit anerkannten Friedensnobelpreisträger Prof. Mohammad Yunus auf, die Führung einer Interimsregierung zu übernehmen. Yunus, der von Hasina verfolgt und diffamiert worden war, nahm die Aufgabe an. Die neue Regierung besteht aus parteiunabhängigen Akademiker*innen, Expert*innen verschiedener Fachbereiche, aber auch zwei Militärangehörigen aber und drei Studierenden als Berater*innen. Zehn Komitees, etwa für Arbeitsrechte, Justiz, Antikorruption und Gleichstellung wurden gegründet, die derzeit von namhaften Expert*innen, ehemaligen Angestellten und NGOs besetzt werden. Auch Leiter*innen von FEMNET-Partnerorganisationen wurden für die Frauen- und Arbeitskommissionen ernannt. Die Interimsregierung und ihre zehn Komitees stehen vor der gewaltigen Aufgabe, Transparenz zu schaffen, Korruption zu bekämpfen und fast alle Sektoren zu reformieren. Auch Verbrechen der paramilitärischen Eingreiftruppe RAB (Rapid Action Bataillon) – Verschwinden von Hunderten Menschen in letzten 15 Jahren - müssen aufgeklärt werden. Auch im Textilsektor, dem zentralen Wirtschaftsfaktor, bleiben die Herausforderungen enorm. Es gibt streikende Arbeiter*innen, die ihren Lohn seit Monaten nicht erhalten haben. Ein 18 Punkte-Plan, auf den sich Gewerkschaften und Regierung im September 2024 geeinigt haben, enthält u.a. Forderungen nach einer Lohnreform, Streichung der schwarzen Listen von aktiven Arbeiter*innen, Beendigung der Korruption beim Verkauf von Kleidungsresten, Entschädigungszahlungen für entgangenen Lohn und Überprüfung der Anschuldigungen gegen Arbeiter*innen aus dem letzten Arbeitskampf, als es um die Erhöhung des Mindestlohns ging. Der Unternehmensdachverband BGMEA führt eine Datenbank der beschäftigten Arbeiter*innen, darunter auch eine schwarze Liste von protestierenden Arbeiter*innen, die keine Einstellung mehr nach Entlassung in anderen Fabriken finden. Die Gewerkschaften fordern Transparenz und Offenlegung dieser Liste. Inwieweit das 18 Punkte Papier tatsächlich umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Es ist aber ein Hoffnungsschimmer, dass sich die Parteien auf dieses Papier einigen konnten. Zudem bewirkte Yunus die Freilassung zahlreicher Oppositioneller in Dhaka. Viele Inhaftierte gehörten der Oppositionspartei BNP oder der Muslimpartei Jamaat-e-Islami an. Rückblick auf den Kampf um Löhne Bereits im November 2023, während des nationalen Lohnrevisionsprozesses, gingen Tausende von Bekleidungsarbeiter*innen in Bangladesch auf die Straße, um ein Ende der Armutslöhne zu fordern. Ihr Engagement kostete vier von ihnen das Leben, über 130 Personen wurden inhaftiert und viele stehen noch immer vor Gericht: Nur, weil sie von ihrem gesetzlichen Recht Gebrauch gemacht haben, sich zu organisieren und eine menschenwürdige Bezahlung zu fordern. Der neue Mindestlohn von 12.500 BDT (rund 100 Euro) ist einer der niedrigsten weltweit und reicht kaum zum Leben. Selbst dieser Lohn wird noch nicht in allen Fabriken gezahlt. Zukunftsaussichten: Wohin steuert Bangladesch? Die politische und gesellschaftliche Zukunft Bangladeschs bleibt ungewiss. Fast jede*r, mit der wir sprachen, meinte: „Wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Bis zu den Neuwahlen können zwei Jahre oder mehr verstreichen.“ Derzeit, so vermutet man, passiert viel im Hintergrund: Während sich neue politische Bewegungen formieren, Studierende Parteien gründen, und islamische Gruppierungen erstarken, drängt die traditionelle Oppositionspartei BNP auf zeitnahe Wahlen. Deutsche Unternehmen, die ihre Aufträge im Sommer zurückzogen, kehren inzwischen nach Bangladesch zurück. Allerdings bleibt die Unsicherheit, wie es weitergeht, jetzt wo Fabrikbesitzer im Gefängnis sitzen oder sich ins Ausland abgesetzt haben. Gerade jetzt in dieser Situation braucht aber Bangladeschs Bekleidungsindustrie sichere Aufträge. Auch drängen deutsche Unternehmen bisher nicht ihre Produzenten, die Anklagen gegen Hunderte von Arbeiter*innen aus den Lohnkämpfen im letzten Jahr fallen zu lassen. Bangladesch steht vor einer entscheidenden Phase. Ob der Regierungsumsturz letztlich genutzt werden kann, um zu mehr Stabilität, Gerechtigkeit und Freiheit für Bekleidungsarbeiter*innen zu führen, bleibt abzuwarten. Eine leise Hoffnung besteht jedoch. Autorin: Dr. Gisela Burckhardt Quelle [i] Zahlen und weitere Angaben wurden uns von unseren Partnerorganisationen NGWF, BCWS und BILS zur Verfügung gestellt. Kategorie: Nachrichten aus Bangladesch zurück