Nachrichten & Pressemeldungen - Lieferkettengesetz © FEMNET | Dr. Gisela Burckhardt 14. August 2024 Kann das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) den Arbeiterinnen helfen? In einer Vorabveröffentlichung eines längeren Aufsatzes analysiert FEMNET Vorstandsvorsitzende Dr. Gisela Burckhardt den aktuellen Stand des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz und des Europäischen Lieferkettengesetz (CSDDD) im Hinblick auf ihre Wirkung für die Rechte von Arbeiterinnen. FEMNET hat sich zusammen mit anderen 120 NGOs für ein starkes Lieferkettengesetz in Deutschland eingesetzt. Es ist sehr zu begrüßen, dass es endlich seit dem 01.01.2023 ein Gesetz gibt, das große Unternehmen verpflichtet, ihrer unternehmerischen Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und den Schutz der Umwelt in ihren globalen Lieferketten nachzukommen. Alle großen Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten und seit 01.01.2024 mit mehr als 1.000 Beschäftigten müssen eine Risikoanalyse vornehmen. Darin müssen sie untersuchen, wie hoch die Risiken hinsichtlich von Arbeitsrechtsverletzungen in ihrer Lieferkette sind oder ob ihre Lieferanten zu Umweltschäden beitragen. Sie müssen die Risiken nach Schweregrad bewerten und priorisieren und entsprechend Präventivmaßnahmen ergreifen. Auch haben Betriebsräte zahlreiche Möglichkeiten der Mitgestaltung z.B. bei der Einführung eines Beschwerdemechanismus oder der Schulung der Beschäftigten (verdi, 2022). Allerdings sehen NGOs folgende Mängel beim deutschen LkSG: Es gibt keine zivilrechtliche Haftung, d.h. die Beschäftigten können nicht vor deutschen Gerichten nach deutschem Recht klagen, also Arbeitsrechtsverletzungen vor ein deutsches Gericht bringen. Das Gesetz sieht keine Wiedergutmachung für Betroffene vor, wenn sie Beschwerde eingereicht haben, sondern berücksichtigt diese lediglich bei der Bemessung von möglichen Bußgeldern. Eine Beteiligung von Betroffenen vor Ort im Produktionsland ist nicht zwingend vorgeschrieben. Es betrifft im Jahr 2024 alle Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten, aber nicht die vielen kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU), die es besonders in der Bekleidungsindustrie gibt. Sie verursachen aber ebenfalls negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt. Schließlich sind Menschenrechte universal und sollten nicht von der Größe eines Unternehmens abhängen. Entgegen der Aussage von Wirtschaftsverbänden, die eine Überforderungen von KMU voraussagen, zeigen schon heute einige KMU, dass diese Vermutung nicht zutrifft. Im Gegenteil: Sie haben oft einen direkteren Draht zu ihren Produzenten als die großen Unternehmen. Das Gesetz deckt nicht die gesamte Lieferkette ab, sondern konzentriert sich auf die direkten, unmittelbaren Zulieferer. Bei mittelbaren Zulieferern wie z.B. den Spinnereien, müssen Unternehmen nur anlassbezogen tätig werden, wenn sie „substantiierte Kenntnis“ von Menschenrechtsverletzungen erlangen. Auch enthält das deutsche LkSG keinen Hinweis auf die ILO-Konvention 190 gegen geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz, die nun immerhin nach zwei Jahren auch von Deutschland ratifiziert wurde. Auch wenn es erfreulich ist, dass es endlich nach langen Verhandlungen ein Gesetz in Deutschland gibt, stellt sich die Frage: Warum sollten Arbeiter*innen eine Beschwerde bei der zuständigen deutschen Behörde einreichen, wenn sie keine Entschädigung erwarten können, sondern im Gegenteil womöglich ihren Job riskieren? Beschwerde von FEMNET beim BAFA gegen IKEA und Amazon Nach Inkrafttreten des Gesetzes hat die NGO FEMNET ihre Partnerinnen in Asien über das deutsche LkSG und auch über die Möglichkeiten einer Beschwerde bei Arbeitsrechtsverletzungen und Umweltschäden informiert. Ohne eine Unterstützung durch deutsche NGOs, ist es für Betroffene fast unmöglich sich zu beschweren. FEMNET hat am 24.04.2023 zusammen mit dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und im Auftrag der lokalen Gewerkschaft in Bangladesch, der National Garment Workers Federation (NGWF), eine der ersten Beschwerden beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) gegen IKEA und Amazon eingereicht. Beide lassen in Bangladesch in Fabriken produzieren, die nicht vom Brand- und Gebäudeschutzabkommen Accord überprüft werden, weil die beiden Großunternehmen bis heute nicht - im Gegensatz zu rund 200 anderen vorwiegend europäischen Textilunternehmen - den Accord unterschrieben haben. Dies ist nicht nachvollziehbar, denn der Accord gewährt den besten Gebäude- und Brandschutz und führte zu einer besseren Sicherheitslage in den vom Accord geprüften Fabriken. Die Gewerkschaft NGWF wies zudem Sicherheitsmängel wie fehlende Inspektionen aber auch andere Arbeitsrechtsverletzungen wie mangelnde Gewerkschaftsfreiheit in den Fabriken nach, in denen Amazon und IKEA produzieren lassen. Die zuständige deutsche Behörde hat zwar die Beschwerde geprüft und im August 2023 angenommen, womit der erste Schritt gemacht wurde. Doch seither herrscht Schweigen. Die beteiligten NGOs und die Gewerkschaft in Bangladesch wurden schriftlich nicht weiter über das Vorgehen des BAFA unterrichtet. Leider verpflichtet das Gesetz hierzu auch nicht. Formal ist zu erwarten, dass das BAFA die Unternehmen anschreibt und um eine Stellungnahme bittet. Aber was passiert dann? Es ist zu vermuten, dass die betroffenen Unternehmen das Verfahren hinausziehen und zunächst selbst ein Sozialaudit vor Ort durchführen. Aber die Geschichte von Audits, die seit über 20 Jahren zu keiner wesentlichen Verbesserung von Arbeitsbedingungen geführt hat, zeigt, dass nicht-sichtbare Aspekte wie Frauendiskriminierung, Gewerkschaftsfeindlichkeit, etc. nicht erkannt werden. Wie weit prüft BAFA die Richtigkeit der Angaben aller Seiten? Eine Vor-Ort-Untersuchung ist im Prinzip nicht vorgesehen. Eine Einbeziehung der betroffenen Gewerkschaft ist bisher auch nicht erfolgt. So lässt sich derzeit nur sagen, dass die größte Wirkung des LkSG eine präventive ist. Unternehmen werden präventiv tätig, weil sie ein funktionierendes Beschwerdesystem vorweisen und einen jährlichen Bericht über ihre Risiken bei ihren unmittelbaren Zulieferern und Maßnahmen dagegen erstellen müssen. So sind sie gezwungen, zumindest den unmittelbaren Zulieferer genau zu kennen. Das tun viele Unternehmen längst noch nicht, vor allem dann nicht, wenn sie über Agenturen einkaufen wie z.B. die deutschen Discounter. Plötzlich geben sich Unternehmen selbst Transparenz als Ziel vor (z.B. Hugo Boss Ende 2023), die vor einigen Jahren noch von FEMNET dazu in Kampagnen aufgefordert werden mussten. Denn nur wer seine Lieferkette kennt, kann auch von Menschenrechtsverletzungen bei den Produzenten erfahren und ihnen vorbeugen bzw. sie vermeiden. Im Idealfall treten diese Schäden somit gar nicht erst ein, sondern werden präventiv verhindert. Da das LkSG für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten seit 2023 und für Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten erst seit Januar 2024 in Kraft ist, ist die Zeitspanne kurz, um wirklich Wirkung zu entfalten. Laut BAFA gab es im ersten Jahr (2023) 40 Beschwerden, wovon 20 als nicht substantiiert zurückgewiesen wurden, nur in sechs Fällen hat die Behörde Kontakt zu Unternehmen aufgenommen. Es wird stark vom Vorgehen des BAFA abhängen, wie streng die Behörde Unternehmen überprüft und wie genau sie Beschwerden von Arbeiter*innen nachgeht und Unternehmen auch Strafen zu erwarten haben. Das BAFA betont seinen kooperativen Ansatz gegenüber Unternehmen: „Wir fordern die Unternehmen, aber wir überfordern sie nicht. …Der kooperative Ansatz des BAFA fußt auf der im Gesetz verankerten Bemühenspflicht und den Prinzipien der Angemessenheit und Wirksamkeit.“ (Pressemitteilung des BAFA vom 21.12.2023) Das Gesetz schreibt also keine Erfolgspflicht vor, ein Unternehmen muss nur nachweisen, dass es sich bemüht hat, seinen Sorgfaltspflichten in wirksamer und angemessener Weise nachzukommen. Was aber genau heißt das? Die Begriffe Wirksamkeit und Angemessenheit hat das BAFA in einer gesonderten Handreichung erläutert. So orientiert sich die Angemessenheit u.a. an dem Einflussvermögen eines Unternehmens, auch an der Schwere und der Wahrscheinlichkeit der Verletzung in seiner Lieferkette. Es bleibt also viel Interpretationsspielraum für das BAFA. Torsten Safarik, zu dem Zeitpunkt oberster Chef des BAFA erklärte, worauf es beim Gesetz ankommt: „Das Ziel ist nicht, dass die Menschenrechtsverletzung abgestellt wird. Das Ziel ist sich zu bemühen, sie abzustellen.“ (Tagesschau, 21.12.2023) Als bisheriges Fazit muss man ziehen: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz trägt bisher nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Näherinnen in Bangladesch bei, nicht einmal die betroffene Gewerkschaft wurde vom BAFA kontaktiert. Aber selbst ein solch eher harmloses LkSG verursachte ein großes Aufstöhnen bei der Wirtschaft, die sich über zu viel Bürokratie beschwerte. Dies hatte zur Folge, dass die Ampelkoalition in ihrem „Wachstumspaket“ vom Juli 2024 plant, die Zahl der erfassten Unternehmen an das europäische LkSG, das CSDDD (siehe unten), anzupassen. Allerdings würde dies beinhalten, dass zwei Drittel der derzeit berichtspflichtigen Unternehmen nicht mehr unter das LkSG fallen würden. Erst im Jahr 2029 müssten wieder Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten berichten, sofern sie einen Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro haben (siehe Erläuterung zum CSDDD weiter unten). Ein solches Vorgehen stellen allerdings die NGOs Germanwatch und Oxfam in Frage. Ein von ihnen in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass die Maßnahme rechtswidrig sei, weil ein schon bestehendes Schutzniveau in einem EU-Land nicht abgesenkt werden darf (Germanwatch, 2024). Es bleibt also abzuwarten, welche Entwicklungen es beim LkSG in absehbarer Zeit geben wird. Das Europäische Lieferkettengesetz (CSDDD) Die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) wurde im Dezember 2023 in einem Kompromiss zwischen EU-Rat, EU-Kommission und EU-Parlament final beschlossen. In letzter Minute aber erhob die FDP ein Veto (German Vote) gegen das Gesetz. Nur nach einer weiteren Verwässerung, vor allem hinsichtlich einer geringeren Zahl von betroffenen Unternehmen, konnte die belgische Ratspräsidentschaft doch noch erreichen, dass das Gesetz am 15.03.2024 verabschiedet wurde. Dies wurde möglich, weil Frankreich und Italien zustimmten, Deutschland enthielt sich weiterhin. Frankreich erreichte, dass nur noch große Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeiter*innen (vorher waren es 500) und einem Jahresumsatz von mehr als 450 Millionen Euro vom Gesetz betroffen sind. Ein Jahresumsatz steht nicht im deutschen Gesetz. Vermutlich werden nun nur noch 5.500 Unternehmen statt wie ursprünglich 16.000 Unternehmen unter das CSDDD fallen. Letztlich betrifft das CSDDD weniger als 1 Prozent aller Unternehmen in der EU, da die kleinen und mittelgroßen Unternehmen nicht erfasst werden. Dennoch ist das CSDDD ein großer Fortschritt, denn es schafft gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen, auch nicht europäische, die in der EU einen Umsatz von mehr als 450 Mio. EUR haben. Im Gegensatz zum deutschen LkSG, das die Sorgfaltspflicht auf den direkten Lieferanten begrenzt bzw. nur bei „substantiierter Kenntnis“ auch die tiefere Lieferkette mit einbezieht, umfasst das CSDDD die gesamte Lieferkette von Anfang an. Gerade am Anfang der Lieferkette, auf den Baumwollfeldern und Spinnereien finden oft zahlreiche Menschenrechtsverletzungen statt. Damit stärkt das CSDDD den risikobasierten Ansatz, wie es auch die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte vorsehen. Unternehmen müssen dort tätig werden, wo sie die größten Risiken in der Lieferkette festgestellt haben. Das CSDDD ermöglicht den Betroffenen, vor einem europäischen Gericht auf Schadensersatz zu klagen und bei Gericht auch die Herausgabe von Informationen von Unternehmen zu erwirken. Fälle sollen erst nach fünf Jahren verjähren – dies ist ein deutlicher Fortschritt im Vergleich zum deutschen Lieferkettengesetz. Allerdings erlaubt das CSDDD keine Sammelklagen und faktisch ist es immer noch schwer für Betroffene zu klagen, denn sie müssen den Beweis für eine Arbeitsrechtsverletzung erbringen. An Nachweis-Dokumente kommt aber eine einfache Arbeiterin kaum heran, NGOs hatten deshalb eine Beweislastumkehr gefordert: Das beklagte Unternehmen sollte nachweisen, dass es seiner Vorsorgepflicht nachgekommen ist. Das CSDDD stärkt auch die Beteiligung von Interessengruppen. In einem eigenen Artikel regelt das CSDDD die verpflichtende und effektive Einbeziehung von betroffenen Stakeholdern wie NGOs und Gewerkschaften. Im deutschen LkSG ist eine Beteiligung von Stakeholdern viel schwächer formuliert, es liegt faktisch am Ermessen des BAFA. Wie oben dargestellt, hat das BAFA ein Jahr nach Einreichen der Beschwerde noch immer nicht die Gewerkschaft in Bangladesch einbezogen. Schließlich sind laut CSDDD Unternehmen verpflichtet, einen Klimaplan aufzustellen. Auch werden weitere umweltbezogene Pflichten genannt. Unternehmen sind verpflichtet, messbaren Umweltschäden wie Entwaldung vorzubeugen. Kritisch an der CSDDD Richtlinie sind vor allem die geringe Reichweite an Unternehmen, die damit erfasst werden, das Fehlen von Sanktionen bei Nichtumsetzung des Klimaplans und die Nichtberücksichtigung der Aktivitäten des Finanzsektors. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass ein Gesetz – sowohl in Deutschland wie auch auf EU-Ebene –wirksamer ist als freiwillige Verpflichtungen der Unternehmen. Die haben in den zehn Jahren nach Rana Plaza bisher nicht zu grundsätzlichen Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen der Beschäftigten geführt, wie man an den Bemühungen des deutschen Textilbündnisses sehen kann. Woran aber die vorliegenden Gesetze zur Sorgfaltspflicht von Unternehmen nichts ändern, ist die übermäßige Produktion von Kleidung, die ein immenses Problem darstellt. Dieser Text von Dr. Gisela Burckhardt ist ein Auszug aus einem noch nicht veröffentlichten längeren Beitrag mit dem Titel: „Der Wahnsinn der Überproduktion zu Hungerlöhnen – hilft da ein Lieferkettengesetz in Deutschland und Europa?“ (2024) Kategorie: Lieferkettengesetz