Nachrichten & Pressemeldungen - Lieferkettengesetz

Offener Brief: Nichterfüllung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten gemäß Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz im Bereich Arbeitsschutz

Gemeinsam mit weiteren Unterstützer*innen wenden sich FEMNET und ECCHR heute, am Jahrestag des verheerenden Fabrikbrands von Tazreen, mit einem Offenen Brief an Tom Tailor, Deichmann, IKEA und Amazon.

Vor zehn Jahren, am 24.11.2012, starben bei dem Fabrikbrand von #Tazreen 117 Menschen. Genau sechs Monate später starben in den Trümmern von Rana Plaza 1.135 Menschen. Das „Abkommen für Gebäudesicherheit und Feuerschutz in Bangladesch“ (Bangladesh Accord) war eine Reaktion auf diese Tragödien und hat erfolgreich dazu beigetragen, derartige Unglücke in der Bekleidungsindustrie zu verhindern. Dennoch haben führende Unternehmen, die in Bangladesch produzieren lassen, das Abkommen bis heute nicht unterzeichnet, unter ihnen: Tom Tailor, Deichmann, IKEA und Amazon.

FEMNET und das ECCHR wenden sich deswegen gemeinsam mit weiteren Unterstützer*innen an die genannten Unternehmen und fordern sie auf, den Accord zu unterzeichnen, um Ihre Sorgfaltspflicht im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu erfüllen – so wie es auch ab 2023 das deutsche Lieferkettengesetz vorsehen wird. Wir sind davon überzeugt, dass die Nichtunterzeichnung des Accord eine Verletzung der Sorgfaltspflicht ist und werden deswegen mit der Umsetzung des Lieferkettengesetzes alle verfügbaren juristischen Mittel nutzen, um die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen!

#SignTheAccord

Lesen Sie den Offenen Brief im Wortlaut oder laden Sie sich die Briefversionen an die Unternehmen in Deutsch und Englisch herunter:

 

 

Absender offener Brief sign the accord

An die Unternehmen

TOM TAILOR, Deichmann, IKEA und Amazon

 

 

Nichterfüllung menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten gemäß Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz im Bereich Arbeitsschutz

Bonn/Berlin, 24. November 2022

Sehr geehrte/r Damen und Herren!

Heute, am 24. November 2022, jährt sich der schreckliche Brand von Tazreen, bei dem über 110 Bekleidungsarbeiter*innen in Bangladesch ums Leben kamen, zum zehnten Mal. Genau 6 Monate später starben in den Trümmern von Rana Plaza mehr als 1100 Menschen, die Kleidung für internationale Modeunternehmen nähten. Das „Abkommen für Gebäudesicherheit und Feuerschutz in Bangladesch“ (Bangladesh Accord) war eine Reaktion auf diese Tragödien und hat erfolgreich dazu beigetragen, solch vermeidbare Katastrophen in der Bekleidungsindustrie zu verhindern, wo alle anderen Programme und freiwilligen Maßnahmen versagt haben. Der Accord in Bangladesch muss als der erfolgreichste Mechanismus zur wirksamen Verbesserung der Sicherheit am Arbeitsplatz weltweit angesehen werden.

Wir senden Ihnen dieses Schreiben, da Sie weder den Bangladesh Accord, noch das Nachfolgeabkommen zum Bangladesh Accord, den sogenannten internationalen Accord unterzeichnet haben. Wir sind der Ansicht, dass Sie durch die Nichtunterzeichnung der Internationalen Vereinbarung als wirksamstes Instrument zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz Gefahr laufen, Ihre Sorgfaltspflichten im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz zu verletzen.

Wie Ihnen bekannt sein dürfte, wird das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Aufgrund der Größe Ihres Unternehmens fallen Sie ab Januar 2023 in den Geltungsbereich des LkSG. Das LkSG verlangt von den Unternehmen nicht nur, Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich zu etablieren, sondern verpflichtet sie auch, Präventionsmaßnahmen bei ihren direkten Lieferanten (§ 6 Abs. 4) sowie bei allen Zulieferern in der weiteren Kette zu ergreifen, wenn sie konkrete Hinweise auf menschenrechtliche Risiken haben (§ 9). Das LkSG benennt in § 2 Abs. 2 Nr. 5 das Risiko der Gefährdung von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz als eine der zentralen Schutzpositionen des Gesetzes.

Der internationale Accord ist genau die geeignete Präventionsmaßnahme, die das LkSG in Bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz fordert. Der Bangladesch-Accord hat sich als herausragendes Beispiel für wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung von Arbeitsrechtsverletzungen in globalen Lieferketten erwiesen. Er hat dazu beigetragen, Zehntausende festgestellter Sicherheitsrisiken zu beseitigen, Arbeiter*innen zu schulen und zu informieren und einen Beschwerdemechanismus einzurichten, der es den Arbeiter*innen ermöglicht, Sicherheitsfragen am Arbeitsplatz anzusprechen. Diese positive und herausragende Wirkung ist eine direkte Folge des verbindlichen Charakters der Vereinbarung, der rechtlichen Durchsetzbarkeit, der transparenten Berichterstattung, der sinnvollen Einbeziehung von Arbeitnehmervertreter*innen, der unabhängigen Inspektionen und der Schulungen für Arbeiter*innen über ihr Recht auf einen sicheren und gesunden Arbeitsplatz. All das macht den Accord zu einem wirksamen Beispiel für die Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht. Wenn ein Zulieferer es etwa versäumt, Sicherheitsmängel innerhalb der gesetzten Fristen zu beheben, wird ein Verwarnungsverfahren eingeleitet, das letztendlich dazu führt, dass der Zulieferer nicht mehr für eine der unterzeichnenden Marken produzieren darf. Dadurch wird sichergestellt, dass die Standards für die Sicherheit der Arbeiter*innen und die Menschenrechte eingehalten werden, was letztlich im Interesse jedes Unternehmens liegt, das die oben genannten gesetzlichen Anforderungen des LkSG erfüllen muss.

Insbesondere die beispielhafte Aufzählung von Maßnahmen in § 6 Abs. 4 deckt sich mit den bereits etablierten Maßnahmen des Accord. Die Verpflichtung in § 7 Abs. 2 Nr. 2 benennt explizit Brancheninitiativen: Dort heißt es, dass die Unternehmen verpflichtet sind, Abhilfemaßnahmen zu ergreifen und auf Menschenrechtsverletzungen zu reagieren, indem sie in Abstimmung mit anderen Unternehmen sektorale Initiativen entwickeln und sich an der Festlegung von Standards beteiligen, um "die Einflussfähigkeit [der Unternehmen] auf den Verursacher [von Menschenrechtsverletzungen] zu erhöhen".

Dies entspricht genau der Absicht und Wirkweise des Internationalen Accords.  Bislang haben diesen 186 Unternehmen unterzeichnet und sich verpflichtet, die Gesundheit und Sicherheit von Arbeiter*innen in der Textil- und Bekleidungsindustrie in Bangladesch und anderen Ländern zu fördern und zu schützen, wenn die Vereinbarung ausgeweitet wird. Es gibt wohl kaum eine bessere Möglichkeit, seiner Verpflichtung gemäß § 6 Abs. 4 und § 7 Abs. 2 nachzukommen, als sich einem bereits bestehenden Mechanismus anzuschließen, der die gemeinsamen Anstrengungen so vieler Unternehmen umfasst. Die sich daraus ergebende Möglichkeit, Einfluss auf die Zulieferer zu nehmen, um die Rechte der Arbeitnehmer in der Bekleidungsindustrie zu schützen, ist immens und daher für jedes Unternehmen, das sich an das LkSG halten muss, die sinnvollste Maßnahme.

Daher kann der Nichtbeitritt zur Vereinbarung als Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte gemäß dem LkSG betrachtet werden, da er eine bewusste Abkehr von einem bewährten und wirksamen Instrument zur Verhinderung und Minderung bekannter Menschenrechtsrisiken in der Textilindustrie bedeutet. Sie wurden mehrfach von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften kontaktiert, um Sie über die Risiken in Bezug auf Gesundheit und Sicherheit in Fabriken in Bangladesch sowie in vielen anderen Produktionsländern zu informieren. Sie verfügen also über substantiierte Kenntnis bezüglich drohender Risiken im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz in Bangladesch. Somit besteht hier Ihrerseits die Verpflichtung, mit der Unterzeichnung des Accord Ihre Sorgfaltspflicht im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz zu erfüllen.

Sie sind verpflichtet, ihren Sorgfaltspflichten für Sicherheit nachzukommen, um weitere Tragödien zu verhindern! Unterzeichnen Sie die Vereinbarung, um - gemeinsam mit 186 anderen unterzeichnenden Unternehmen – die Sicherheit in bangladeschischen Textilfabriken bestmöglich zu gewährleisten und auf eine Ausweitung der Vereinbarung auf andere Länder wie Pakistan hinzuarbeiten.

Sollten Sie Ihre Verantwortung weiterhin vernachlässigen, prüfen wir die notwendigen juristischen Schritte, einschließlich einer Beschwerde bei der fürs LkSG zuständigen deutschen Behörde, dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.

Sollten Sie noch Fragen haben, zögern Sie bitte nicht, uns zu kontaktieren.

Mit freundlichen Grüßen,
 supporter innen

 
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