Nachrichten & Pressemeldungen - Lieferkettengesetz

Grafik mit dem Slogan: Justice is everybody's business

© Justice is Everybody’s Business 2022

Inflation und ihre Folgen für die Produktionsländer der Bekleidungsindustrie

In Deutschland liegt die Inflationsrate derzeit bei 10%, aber auch in den Produktionsländern schauen die Menschen ängstlich in die Zukunft. Die Lebensmittelpreise sind in vielen Ländern in die Höhe geschnellt, während die Reallöhne stagnieren und immer weniger zum Leben reichen. Zudem ist auch die gedämpfte Konsumstimmung in Europa für die Textilfabriken spürbar.

Im September ist die Inflationsrate in Deutschland auf 10% gestiegen, die höchste Teuerungsrate seit den Nachkriegsjahren. Im Herbstgutachten malen führende Wirtschaftsinstitute ein düsteres Bild: Sie rechnen noch in diesem Jahr mit einer Rezession. Der Konjunktureinbruch, möglicherweise noch durch eine Gasmangellage verstärkt, könnte einen beträchtlichen Wohlstandsverlust für die Deutschen bedeuten. Auch die Prognosen für 2023 sehen nicht besser aus. Die Inflation hierzulande hat bereits jetzt starke Auswirkungen auf das Konsumverhalten der Verbraucher*innen: Laut des Handelsverbands Deutschland (HDE) schränken sich bereits 60% der Menschen beim Einkauf ein, noch mehr stellen sich darauf ein, in den kommenden Monaten sparsamer zu leben. Doch was bedeutet das für die Produktionsländer?

Gedämpfte Konsumlaune lässt Auftragsvolumen in den Fabriken schrumpfen

In Kambodscha ist der Negativtrend in der Nachfrage bereits deutlich spürbar. Über 170 Fabriken haben die Produktion im September teilweise pausiert oder ihre Beschäftigten angewiesen, weniger Stunden zu arbeiten. Auch in Bangladesch ist ein Rückgang der Aufträge bereits seit Juni spürbar. In Vietnam sind die Bekleidungsexporte im September um mehr als 30% gegenüber dem Vormonat gefallen, sodass Unternehmen ihren Mitarbeiter*innen nun aufgrund des geringen Arbeitsaufkommens zusätzliche freie Tage gewähren. Arbeiter*innen können nicht mehr durch Überstunden zusätzliches Gehalt verdienen, auf das viele angewiesen sind. Es wird erwartet, dass die im September und Oktober geänderten Arbeitszeiten für die Beschäftigten eine Lohnkürzung um 10-20% bedeuten. Auf den Philippinen wurden bereits Tausende Bekleidungsarbeiter*innen aufgrund ausbleibender Aufträge entlassen.

Einige Länder haben seit Monaten mit Energieknappheit zu kämpfen. Im August wurden die Ölpreise in Bangladesch in nur einer Woche um mehr als 50% erhöht, was zu großen Protesten führte. Die Regierung hat anschließend einen Plan für einen zonenbezogenen wöchentlichen Feiertag für Industrieanlagen im ganzen Land veröffentlicht, um der Energieknappheit entgegenzuwirken und eine dauerhafte Stromversorgung zu gewährleisten. Im Oktober berichten Arbeiter*innen in Gazipur trotzdem von stundenlangen Stromausfällen, die Produktionspausen zur Folge haben. In Pakistan führte eine Unterbrechung der Gasversorgung zu umfangreichen Schließungen von Fabriken und Massenentlassungen. Angesichts der gravierenden Treibstoffknappheit und des Preisanstiegs in Myanmar können viele Fabrikbesitzer*innen ihre Betriebstätigkeit kaum noch aufrechterhalten. Auf die Ankündigung einer Strompreiserhöhung um 30% durch die indische Regierung reagierten Webereien in Tamil Nadu mit Streiks. 

Teuerungsraten von bis zu über 80% machen Lebensmittel unerschwinglich

Während es in Bangladesch und Indien ähnliche Inflationsraten wie in Deutschland gibt (9 und 7,5%), ist die Teuerungsrate in weiteren Produktionsländern exorbitant in die Höhe geschnellt. In der Türkei kämpfen die Menschen mit einer Inflation von 83,5%, in Pakistan liegt die Rate bei 23%, in Myanmar bei 18%. Mit einer besonders hohen Inflationsrate hat auch Sri Lanka zu kämpfen. Mit 70% ist sie eine der höchsten weltweit. Die Nahrungsmittelinflation liegt in dem Land sogar bei 95%. Aufgrund der erhöhten Kosten für Lebensmittel können Arbeiter*innen in den Produktionsländern sich und ihre Familien nicht ausgewogen ernähren. Sie kaufen weniger nahrhaftes Essen, die Gerichte sind weniger abwechslungsreich, Mahlzeiten werden ausgelassen. Fleisch, Gemüse oder Früchte kommen nur selten auf den Tisch. Für die medizinische Versorgung von Familienmitgliedern bleibt kein Geld übrig. In Ländern wie Bangladesch und Sri Lanka protestieren Näher*innen deswegen seit Monaten und fordern eine Erhöhung der Mindestlöhne im Sektor, um die steigenden Preise decken zu können.

Für die Bekleidungsarbeiter*innen steigen die Lebenserhaltungskosten, doch die Reallöhne stagnieren oder schrumpfen. Für viele hat der Lohn schon vorher nicht zum Leben gereicht und bringt sie nun in größte Not.

Nationale Krisen üben zusätzlichen Druck auf Arbeiter*innen aus

In vielen Produktionsländern kommen zu den aktuellen wirtschaftlichen Problemen weitere Krisen. So zum Beispiel in Myanmar, wo Textilarbeiter*innen und Gewerkschafter*innen unter der Gewaltherrschaft des Militärs leiden, das vor eineinhalb Jahren einen Putsch verübte und seither gewerkschaftliche Arbeit unterdrückt und Arbeitsrechtsaktivist*innen verfolgt und verhaftet.

Seit Juni war Pakistan monatelang von ungewöhnlich starken Monsunregen betroffen, der verheerende Überschwemmungen verursachte und 1.600 Menschen in den Tod riss. Neun Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen und in Notzelten unterkommen. Etwa 40-45% der Ernte auf den Baumwollfeldern ist zerstört und somit die Lebensgrundlage vieler Landwirt*innen. In Sri Lanka protestieren die Menschen seit 2021 gegen die Regierung aufgrund von Misswirtschaft, die u.a. zu Engpässen bei Lebensmitteln und Medikamenten geführt hat. Der Inselstaat litt stark unter der Coronakrise. Durch Korruption und eine hohe Auslandsverschuldung verschärfte sich die Krise, die nun zu den explodierenden Inflationszahlen führt.

Um Menschen in den textilen Lieferketten zu schützen, brauchen wir wirksame Gesetze

Damit die Menschen, die unsere Kleidung nähen nicht immer wieder die größten Leidtragenden globaler Krisen sind und vor unmenschlichen Geschäftspraktiken geschützt werden, braucht es wirksame Sorgfaltspflichtengesetze für Unternehmen. Wir appellieren an Kanzler Scholz und die Bundesregierung, sich für ein wirksames Lieferkettengesetz auf EU-Ebene einzusetzen, das die Lücken des deutschen Gesetzes schließt, sodass Menschen in den Wertschöpfungsketten ein würdevolles Leben führen können. Außerdem wenden wir uns an die EU und fordern sie auf, das Menschenrecht auf gerechte Entlohnung zu schützen. Bekleidungsarbeiter*innen verdienen einen Lohn, der zum Leben reicht!

 

 

Aufruf der Kampagne 'Justice is everybody's business'

DIE FORDERUNGEN

Wir fordern ein Sorgfaltspflichtgesetz, das:

  1. Unternehmen dazu verpflichtet, Menschenrechte, Umwelt und Klima zu respektieren.
  2. Unternehmen strenge, sachliche Verpflichtungen auferlegt, um Schaden abzuwenden und zu beenden.
  3. Muttergesellschaften für Schäden die entlang ihrer Lieferketten passieren haftbar macht. Es darf in Zukunft keine Schlupflöcher mehr geben!
  4. Tarifverhandlungen durch Gewerkschaften garantiert und Arbeitnehmer:innenvertreter:innen ein echtes Mitspracherecht bei der Sorgfaltspflicht gibt.
  5. zur Bewältigung der Klimakrise beiträgt, indem Unternehmen dazu gebracht werden, die Emissionen entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu senken.
  6. den Planeten schützt, indem es Unternehmen für alle möglichen Umweltschäden zur Verantwortung zieht.
  7. Sorgfaltspflichten auf alle Geschäftsbeziehungen entlang von Wertschöpfungsketten anwendet.
  8. Menschen, die durch schlechte Geschäftspraktiken geschädigt wurden, Gewerkschaften sowie die Zivilgesellschaft dazu befähigt, vor EU-Gerichten Gerechtigkeit zu erlangen.
  9. alle Personen konsultiert, die von Unternehmenstätigkeiten betroffen sind oder betroffen sein könnten, und bei Bedarf deren Zustimmung einholt.
  10. Vollzugsbehörden die Befugnis einräumt, Unternehmen gründlich zu untersuchen und zu sanktionieren.

Weitere Informationen zur Kampagne 'Justice is everybody's business'

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