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Studierendenkonferenz Technikraum.

© S. Kaldonek

Digitale Studierendenkonferenz gibt Entscheider*innen von morgen umfassenden Einblick in die komplexen Herausforderungen der globalen Modeindustrie

Die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Lieferketten, die Folgen für Menschen- und Arbeitsrechte, Unternehmensverantwortung gesetzlich regeln oder auf Freiwilligkeit setzen, und nicht zuletzt die Frage nach einer Wirtschaft für die Zukunft – diese thematischen Linien gaben den Rahmen für die diesjährige FEMNET-Studierendenkonferenz vor.

Die zukünftigen Verantwortlichen einer Branche, die sich in einer tiefen Krise befindet und vor grundlegenden Veränderungen steht, erhielten an zwei Konferenz-Tagen einen umfassenden Einblick in die komplexen Herausforderungen der globalen Mode- und Textilindustrie. Insgesamt haben über 120 Personen an der Konferenz teilgenommen. Neben 70 „regulären“ Teilnehmenden und Referent*innen haben sich Vertreter*innen von Studierendeninitiativen, Vereinen und Organisationen ebenfalls an der Konferenz beteiligt.

Das besondere an der zum 5. Mal stattfindenden Veranstaltung wurde in der Begrüßung von FEMNET-Gründerin Dr. Gisela Burckhardt hervorgehoben. „Lasst uns gemeinsam aktiv werden für Menschenrechte in der Mode“, ermunterte sie die Teilnehmenden und griff damit das Konferenz-Motto auf: It’s time to act. Die vielen kleinen und größeren Schritte, Ideen und Maßnahmen hin zu einer sozial-gerechten Modeindustrie bildeten den Kern des Programms, das überwiegend live aus dem Studio in Köln an die digitalen Endgeräte der Teilnehmenden in ganz Deutschland gestreamt wurde.

Austausch und Mitgestaltung stehen trotz des Digitalformats im Mittelpunkt

Zehn Workshops boten den Studierenden einen intensiven Austausch mit Akteur*innen aus der Praxis, darunter Vertreter*innen von fairen Modelabels und Spezialist*innen für Verwertungsverfahren und Kreislaufwirtschaft. Auch die Expert*innen aus der Zivilgesellschaft gaben praxisnahe Einblicke, etwa in die Tücken von Siegeln und Standards oder die Umsetzung von Sorgfaltspflichten in der Lieferkette. Nicht zuletzt waren die Studierenden selbst gefordert.

Beim Markt der Möglichkeiten präsentierten sich zwölf verschiedene Studierendengruppen, Initiativen und Vereine und boten Teilnehmenden eine gute Gelegenheit, sich auszutauschen und sich zu vernetzen. Die studentischen Initiativen zeigten auf, wie im Hochschulumfeld Gegenentwürfe zum gängigen Kleiderkonsum entstehen und Denkanstöße gegeben werden können.

Eine weitere Gelegenheit, um gemeinsam ins Handeln zu kommen, bot die Ideenwerkstatt. Dabei fanden sich Studierende für die Umsetzung laufender Projekte zusammen, sowie für die Planung zukünftiger Aktionen. So präsentierten die Gründerinnen von Fairo Moda stolz, dass sie an ihrer Universität nun einen festen Kleidertausch etabliert haben. Dahingegen suchten die Organisator*innen vom Digitalen Reparaturbrunch weitere Mitstreiter*innen, um in einem digitalen Reparaturcafé Tipps zum Reparieren und Umgestalten von Kleidung zu geben. Es bleibt also spannend zu sehen, wie die vielfältigen Ideen weiterentwickelt und umgesetzt werden.

Erfolgversprechende Handlungsoptionen, wie sie die Konferenz präsentierte, bleiben ohne fundiertes Hintergrundwissen folgenlos. Die Organisatoren hatten daher hochkarätige Referent*innen eingeladen, die sowohl aus wissenschaftlicher, politischer wie zivilgesellschaftlicher Perspektive den Blick auf Sorgfaltspflichten, Geschäftsmodelle und Beschaffungspraktiken in der Textilindustrie legten.

COVID-19 hat die strukturellen Probleme der textilen Lieferkette mehrdimensional verschärft und schonungslos offengelegt

Dr. Christian Scheper vom Institut für Entwicklung und Frieden verdeutlichte, mit welchen Folgen sich Produktionsbetriebe aufgrund der Corona-Pandemie konfrontiert sehen. Während mit Ausbruch der Krise westliche Marken vor allem Maßnahmen zur eigenen Existenzsicherung, d.h. Optimierung des eigenen Cash Flows und Begrenzung von Gewinneinbußen, unternommen haben, tragen die Produktionsbetriebe eine doppelte Last: Produzent*innen, die ohnehin die Herausforderungen Käufer*innen-getriebener Lieferketten zu bewältigen haben, kämpfen nun mit Zu- und Auslieferungsproblemen, verteuerten Rohstoffen, einbrechender Nachfrage und ausbleibender oder verspäteter Zahlungen von Einkäufer*innen. Hinzu kommen die Folgen der staatlichen Lockdowns wie Infektionsschutzmaßnahmen, fehlende Arbeitskräfte, teilweise Fabrikschließungen.

Für die Millionen von Beschäftigten in der Textilindustrie, so Scheper, habe das gravierende Auswirkungen. Covid-19 stelle sie vor die Wahl zwischen hohem Infektionsrisiko und wirtschaftlichem Elend.

Deepika Rao (CIVIDEP), die aus Indien der Konferenz zugeschaltet wurde, bestätigte mit der Beschreibung der aktuellen Lage in der Textilhochburg Bangalore, was der Einbruch der Industrie, die teilweise schnelle Wiedereröffnung von Textilfabriken und die inzwischen wieder starke internationale Nachfrage bei gleichzeitig hohen Fallzahlen für die Arbeiter*innen bedeuten:  Viele Frauen werden derzeit zu Überstunden gezwungen, sind verzweifelt und können sich nicht wehren, da sie auf das magere Gehalt angewiesen sind. Darüber hinaus besteht ein mangelnder Gesundheitsschutz. Vor allem beim Transport der Arbeiter*innen zur Fabrik und zurück können Hygienemaßnahmen nicht eingehalten werden.

Der Grundtenor der Konferenzbeiträge: Covid-19 hat die strukturellen Probleme in der textilen Lieferkette mehrdimensional verschärft und schonungslos offengelegt, Geschäfts- bzw. Beschaffungsmodelle forcieren weiter massive menschen- und arbeitsrechtliche Probleme und Konflikte.

Alle Stakeholder sind gefragt

Mehr denn je ist daher ein Handeln gefordert, das, wie BMZ-Referatsleiterin für nachhaltige Lieferketten Anosha Wahidi eindrücklich formuliert, nur im Zusammenspiel mit allen Stakeholdern gelingen kann. Denn, so Wahidi, „weder die Wirtschaft noch die Regierungen noch die Gewerkschaften oder die Zivilgesellschaft, oder die Verbraucher*innen können das Problem alleine lösen.“

In einer Diskussionsrunde mit der Clean Clothes Campaign und Sandra Kröger von ALDI Süd zeigte sich, dass Akteure auf verschiedenen Ebenen Verantwortung übernehmen müssen, und nach wie vor ein Machtungleichgewicht innerhalb von Lieferketten besteht. Kampagnen der Clean Clothes Campaign wie #payup bzw. #payyourworkers haben durchaus etwas bewirkt und Unternehmen zu Nachzahlungen bewegt. Dadurch haben Hunderttausende von Arbeiter*innen, die während der Pandemie ihre Arbeit verloren haben und/oder keine Entschädigungen für Lohnausfälle erhalten haben doch noch Nachzahlungen erhalten. ALDI Süd erläuterte, durch die Mitarbeit etwa im Textilbündnis branchenweite Ansätze zur Verbesserung von soziale Sicherungssystemen und mehr Resilienz in der Lieferkette einzuführen.

Aber auch die Vorbehalte von Seiten der Wirtschaft gesetzlich in die Pflicht genommen zu werden, wurden thematisiert. In der einer Diskussion zum kürzlich verabschiedeten Lieferkettengesetz machte sich ein IHK-Vertreter für kleinere und mittelständische Unternehmen stark. Diese stünden durch die Krise vor besonderen Herausforderungen und befürchteten durch das Lieferkettengesetz einen Wettbewerbsnachteil auf dem internationalen Markt. Mitglied des neu gebildeten Bundestages, Merle Spellerberg (Bündnis 90/Die Grünen), kann das Interesse der Unternehmen nach einem „Level-Playing-Field“ nachvollziehen und argumentiert deswegen für ein europäisches Lieferkettengesetz. In der Diskussion darüber, ob das EU-Gesetz schärfere Maßnahmen beinhalten sollte als das deutsche, gingen die Meinungen der Diskutant*innen auseinander. FEMNET-Vorstandsfrau Dr. Gisela Burckhardt betonte, dass vor allem Frauen während der Krise leiden und deswegen geschlechtsspezifische Aspekte in die Gesetze integriert werden müssen. Außerdem müsse eine zivilrechtliche Haftung unbedingt Teil des europäischen Gesetzes werden, weil nur so Betroffene eine Entschädigung erhalten können.

Audits, Siegel und Standards – Orientierung für glaubwürdige Nachhaltigkeit?

Konferenzworkshop 2 mit Lavinia Muth und Johannes Norpoth. © S. KaldonekKonferenzworkshop 2 mit Lavinia Muth und Johannes Norpoth. © S. Kaldonek

Zertifizierungen und Audits gehören inzwischen zum selbstverständlichen Kommunikationsvokabular zahlreicher Unternehmen, um die Einhaltung von Arbeits- und Umweltnormen zu belegen. Auch in den Konferenz-Workshops wurde dieser Aspekt aufgegriffen, um die Teilnehmenden für die Bewertung von Nachhaltigkeitsstandards zu sensibilisieren. Lavinia Muth, CSR-Managerin bei ARMEDANGELS mit langjähriger eigener Erfahrung in der Auditierung von Produktionsstätten, verwies darauf, dass der hohe Druck von Brands und Handelsunternehmen auf ihre Lieferanten inzwischen fragwürdige Auswüchse annehme. Es entstünden mehr und mehr eigens für Auditoren eingerichtete „Vorzeige“-Produktionsstraßen, während in der eigentlichen Fabrik unter Bedingungen gearbeitet würde, die keiner Prüfung standhielten. Muth zeigte an einem Beispiel aus dem eigenen Unternehmen, wie leicht Mängel übersehen werden könnten, und wie wichtig Audit-Interviews mit Näher*innen außerhalb des Fabrikgeländes sind. Außerdem betonte sie die Bedeutsamkeit, mit Auditoren zusammenzuarbeiten, die nicht von den Produktionsfabriken, sondern von den Marken selbst bezahlt werden, wie etwa bei der Fair Wear Foundation.

Auch ein staatliches Meta-Siegel wie der Grüne Knopf, das Produkt- und Unternehmensanforderungen verbindet und vom Grundansatz positiv zu bewerten ist, muss durchaus kritisch betrachtet werden. FEMNET-Vorsitzende Gisela Burckhardt diskutierte zusammen mit Johannes Luderich von der GIZ und den Studierenden die Frage, was sich genau hinter dem Siegel verbirgt. In ihrem Fazit bleibt die Frage, ob ein Meta-Siegel-Ansatz ohne politischen Willen zur Steuerung der Standards wirklich ausreichen kann. Denn noch fehlen staatlichen Anforderungen an Audit- und Zertifizierungsverfahren. Ebenso sind auch oberflächliche Siegel/Standards zugelassen, die lediglich Dokumente prüfen aber nicht OECD-konform handeln (Befragung von Arbeiter*innen, NGOs, Gewerkschaften). Johannes Luderich ist für die Weiterentwicklung des Grünen Knopfes verantwortlich, und betonte, wie wichtig dabei kritische Stellungnahmen von der Zivilgesellschaft und Diskussionen wie bei diesem Workshop seien.

Global kooperativ und kreislauforientiert

Die intensiven Arbeits- und Gesprächsrunden, in denen über die UN-Leitprinzipien, Sorgfaltspflichten, Lieferketten und Multi-Stakeholder-Ansätze bis hin zu zirkulären Modellen und praktische Handreichungen für einen social change diskutiert wurde, endeten mit einem inspirierenden Ausblick vom Wuppertal Institut, dem thinktank für nachhaltige Transformationsmodelle. Die planetaren Grenzen sind überschritten, die Schieflagen in der Textilindustrie spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie nicht mehr zu übersehen. Für Institutsmitarbeiter Markus Kühlert und seine Kolleg*innen lautet das Zukunftsszenario: Global kooperative, kreislauforientierte Regionalwirtschaften sorgen für weltweiten Wohlstand, Chancengleichheit und Resilienz unter dauerhaften Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Auch hier wird deutlich: Veränderung ist möglich - it’s time to act.

 

 

Wir danken unseren Förderern, mit deren Unterstützung die Durchführung der Konferenz ermöglicht wurde.

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