Nachrichten zu unserer Arbeit - Faire öffentliche Beschaffung

Ein männlicher Mitarbeiter der Entsorgungsbetriebelächelt mit verschränkten Armen in die Kamera
© Entsorgungsbetriebe Konstanz

Von Blaumann bis Multinorm: Eigenbetriebe mieten nachhaltig

Für die Technischen Betriebe (TBK) und die Entsorgungsbetriebe (EBK) der Stadt Konstanz ist Nachhaltigkeit schon lange relevant beim Einkauf. Bei der gemeinsamen Neuausschreibung eines Rahmenvertrages für Mietarbeitskleidung mit Waschdienstleistung wurden die kommunalen Eigenbetriebe von FEMNET dabei unterstützt, auf mehreren Ebenen Nachhaltigkeitskriterien zu integrieren.

Ein knappes Jahr lang wurden EBK und TBK durch Rosa Grabe, Projektleiterin bei FEMNET und den Vergabejuristen André Siedenberg begleitet. So setzten die Betriebe ambitionierte Nachhaltigkeitskriterien um, indem sie Anforderungen an die Herstellung (Fasern und Konfektion) und an die Wäschereien kombinierten. Wichtige Meilensteine des Pilotprojektes waren eine umfangreiche Marktrecherche zu Miettextilien, ein Bieterdialog, das Erstellen der Vergabeunterlagen mit juristischer Unterstützung und die Auswertung der eingereichten Nachweise durch FEMNET.

Die beiden Kommunalunternehmen bündeln ihre Beschaffungen in einer Einkaufskooperation. 2022 wurden für rund 180 Mitarbeitende ca. 1.000 Kleidungsstücke ausgeschrieben. Dazu zählt die orangefarbene Warnschutzkleidung von Müllwerkern und Stadtreinigung ebenso wie Schutz- und Arbeitskleidung für die verschiedenen Arbeitsbereiche auf der Kläranlage, dem Friedhof und in den Werkstätten von EBK und TBK. Zudem beinhaltete die Ausschreibung 20 Schmutzfangmatten, 1.000 Putztücher für die Kfz-Werkstatt und 130 Geschirrhandtücher.

Umfangreiche Marktrecherche zu Nachhaltigkeit bei Miettextilien

Beine zweier Müllwerker bei der Arbeit© Entsorgungsbetriebe KonstanzVorausgegangen war der Ausschreibung eine umfangreiche Marktanalyse, denn auch für FEMNET waren Miettextilien ein neuer Fokus für ein Pilotprojekt: Welche Nachhaltigkeitskriterien können die Kleidersortimente relevanter Textilserviceunternehmen bereits bedienen? Welche Maßnahmen setzen sie im Zuge der Industriewaschung um? Entsprechend der Marktverfügbarkeit verschiedener Produkte und Nachweise konnten ambitionierte Kriterien gefordert werden – teils verpflichtend, teils optional im Zuschlag.

ILO-Kernarbeitsnormen verpflichtend für 95% der Kleidung

Hinsichtlich der Sozialkriterien ergab die Marktrecherche, dass die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen in der Konfektion für 6 von 10 Losen sogar verpflichtend im Leistungsverzeichnis gefordert werden konnte. Die Einhaltung wurde durch unabhängig durchgeführte Audits belegt, die nicht länger als drei Jahre zurückliegen durften.

30% der Wertungspunkte für Nachhaltigkeit bei Fasern, Konfektion, Industriewaschung

Bei der Marktanalyse stellte sich heraus, dass viele Miettextildienstleister schon innovative Umweltschutzmaßnahmen umsetzen. Diese sind aber nicht unbedingt gut miteinander vergleichbar. Deshalb wurde für Waschdienstleistung und Transport der kleinste gemeinsame Nenner gefunden: Für die Verwendung von Strom aus erneuerbaren Energien sowie einen möglichst geringen Schadstoffausstoß bei der Lieferung konnten im Zuschlag Extrapunkte erreicht werden (10% der Wertung).

Zusätzliche Punkte konnten Bieterfirmen für die o.g. 6 Lose für weitere soziale und ökologische Kriterien erhalten. Zur Nachweisführung kamen zwei Bieterfragebögen zum Einsatz: Einer bezog sich auf die Konfektionierung, der andere auf die Fasern. Diese Fragebögen flossen mit weiteren 20% in die Wertung ein.

Sorgfaltspflichten: Bieterfragebogen angelehnt an das Lieferkettengesetz

Für die öffentliche Beschaffung ist die Nutzung von Gütezeichen derzeit ein rechtlich sinnvoller Ansatz zum Nachweis von Nachhaltigkeitskriterien, denn sie schaffen Vergleichbarkeit. Grundsätzlich befreit deren Nutzung die Herstellerfirmen jedoch nicht davon, ihren Sorgfaltspflichten zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten auch darüberhinausgehend nachzukommen.

Mehr zum Lieferkettengesetz

Das Besondere am Fragebogen: Vorab wird definiert, welche Gütezeichen und/oder alternativen Nachweise akzeptiert werden. So gibt dieses Instrument zur alternativen Nachweisführung Bieter*innen Orientierung und unterstützt die Wertung. Seit 2015 entwickelt FEMNET dieses Instrument in Kooperation mit Kommunen und Kommunalunternehmen immer weiter. Sämtliche Formulierungen werden juristisch geprüft.

Im Rahmen dieses Pilotprojekts wurde der Fragebogen zu unternehmerischen Sorgfaltspflichten auf Ebene der Konfektion an die Kriterien des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz angepasst.

Im zweiten Fragebogen ging es um die Nutzung nachhaltiger Rohstoffe/Fasern. Dabei wurden beispielsweise für den Einsatz von biologischer oder fair gehandelter Baumwolle bzw. den Einsatz von recyceltem Polyester Extrapunkte vergeben.

 

Innovation mit Potenzial: Digitaler Bieterfragebogen

Erstmals wurden diese Fragebögen in einer interaktiven Exceltabelle zusammengefasst. Die Idee: Den Bieterunternehmen eine gebündelte Oberfläche bieten, in der sie ihre Nachweise pro Los und Frage übersichtlicher eintragen können. Den ausgefüllten Fragebogen mussten sie zusammen mit ihrem Angebot einreichen.

„Die Digitalisierung des Fragebogens hat uns auch für die Prüfung der eingereichten Nachweise eine neue Basis gegeben, denn so konnten wir gültige und ungültige Nachweise direkt kenntlich machen, Nachforderungen identifizieren und die Punkte entsprechend vergeben“, erläutert Rosa Grabe von FEMNET. „Hier sehen wir Potenzial für die Zukunft, denn digitale Tools könnten diesen Prozess noch viel stärker unterstützen. Der digitale Fragebogen war ein erster Schritt in diese Richtung, worauf wir weiter aufbauen wollen.“

Je umfangreicher die Nachhaltigkeitskriterien sind, desto anspruchsvoller kann die Prüfung ausfallen. Einige Grundfragen helfen jedoch dabei: Ist das Zertifikat noch gültig? Stimmen das Produktionsland und der Betriebsname? Worauf bei der Wertung geachtet werden muss, vermittelte FEMNET dem Beschaffer*innen von EBK und TBK am Ende des Projekts bei einem abschließenden Strategieworkshop.

Erfolgsfaktor Bieterdialog

Mitarbeiter der Verwaltung der Entsorgungsbetriebe Konstanz© Entsorgungsbetriebe KonstanzAls sehr hilfreich bewerteten EBK und TBK das Instrument des Bieterdialogs. Zu dem Austausch wurden Textilservice- und Herstellerunternehmen eingeladen und in Kontakt miteinander gebracht. Bei der Veranstaltung konnten die Inhalte der geplanten Ausschreibung potenziellen Bieter*innen vorgestellt und Fragen der Unternehmen direkt beantwortet werden. Auch einige Vertreter*innen der Stadt Konstanz nahmen teil, sodass hier ein direkter Wissenstransfer möglich war. Eine Dokumentation des Dialogs wurde mit den Vergabeunterlagen veröffentlicht.

Es machte sich bei den Angeboten bemerkbar, wer am Bieterdialog teilgenommen hatte. Die eingereichten Nachweise entsprachen besser den Vorgaben und Formfehler konnten größtenteils vermieden werden.

Erfolgsfaktor Trageversuch

Als fester Bestandteil dieser Vergabe war ein Tragetest vorgesehen. Gerade bei einer Umstellung auf nachhaltige Textilien kann die Zufriedenheit Nutzer*innen entscheidend sein. Ihr Testurteil floss deshalb mit 10% in die Wertung ein. Im Rahmen von zwei Sensibilisierungsworkshops vermittelte FEMNET den Bedarfsträger*innen, worauf bei dieser Ausschreibung der Fokus gelegt wurde und was sie durch die Nutzung nachhaltiger Textilien bewirken können.

Nachhaltigkeit macht den Unterschied

EBK und TBK haben mit der aktuellen Ausschreibung eine Vorreiterrolle der nachhaltigen Beschaffung eingenommen, da erstmals Nachhaltigkeitskriterien für Arbeitsmietkleidung mit Waschservice festgelegt und entsprechende Nachweise definiert wurden. Neben verpflichtend einzuhaltenden sozialen Kriterien machten Nachhaltigkeitskriterien 30% der Wertung aus. Den Zuschlag erhielt letztlich auch ein Unternehmen, das bei den Sorgfaltspflichten in der Konfektion die höhere Punktzahl erreicht hat.

Andreas Haaga, Leiter der Warenwirtschaft und Projektleiter bei TBK, bewertet das Pilotprojekt als Erfolg: „Wir haben mit dieser Ausschreibung gezeigt, dass Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung nachweisbar eingefordert werden kann. Das gilt selbst für diese umfangreiche, EU-weite Ausschreibung. Dieses Wissen werden wir in zukünftige Vergabeverfahren mitnehmen. Nachhaltigkeit ist für uns jetzt mehr als ein Schlagwort.“

Ausschreibungsunterlagen im Kompass Nachhaltigkeit

 

Dieses Pilotprojekt fand statt im Rahmen des FEMNET-Projekts „Beschaffung fairändern“. Es wird gefördert von Engagement Global mit ihrer Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) im Auftrag des BMZ. Unterstützt wird es durch Fairtrade Deutschland.

 

 

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