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Protestierende Studierende im Juli 2024

© deshsangbad.com

Unsichere Zeiten für Textilarbeiter*innen nach politischem Umbruch in Bangladesch

Nach wochenlangen Protesten mit hunderten Toten ist Premierministerin Sheikh Hasina zurückgetreten. Militärchef Waker-Uz-Zaman kündigt eine Übergangsregierung an. Beschäftigte sind besorgt, dass sie aufgrund der von der Regierung erklärten Ruhetage nicht ihr volles Juli-Gehalt bekommen. Europäische Marken müssen die Beschäftigten in ihren Lieferketten nun unterstützen.

Nach 15 Jahren und zuletzt stark zunehmenden Protesten ist Regierungschefin Sheikh Hasina am 5. August zurückgetreten. Mit einem Helikopter verließ sie Dhaka und floh nach Indien. Wenig später kursierten erste Videos von Protestierenden, die ihren Palast stürmten. Begonnen hatten die Proteste Anfang Juli mit Studierenden, die gegen ein Jobquotensystem demonstrierten, nach dem bis zu 30 Prozent der Stellen im öffentlichen Dienst an Verwandte von Veteranen des Unabhängigkeitskriegs gegen Pakistan (1971) vergeben werden sollten. Die Studierenden kritisierten die Jobquote, da diese Anhänger*innen der Regierungschefin Hasina bevorzugen würde. Die Quotenregelung wurde vom Obersten Gericht gekippt, doch aufgrund der brutalen Vorgehensweise der Polizei gegen die Demonstrierenden, die zahlreiche Todesfälle zur Folge hatte, weiteten sich die Proteste auf eine breitere regierungsfeindliche Bewegung aus, die den Rücktritt Hasinas forderte. Am Sonntag gab es 91 Todesfälle, insgesamt seien mehr als 300 Menschen in den Unruhen ums Leben gekommen. Über 11.000 Menschen wurden innerhalb der letzten Wochen inhaftiert.[i] Von unserer Partnerorganisation, der Gewerkschaft NGWF, erreicht uns die Nachricht, dass unter den Toten auch fünf NGWF-Mitglieder sind. Insgesamt wurden 11 Textilarbeiter*innen bei den Protesten getötet, über 50 wurden verletzt und über 100 wurden verhaftet.

Vor wenigen Monaten Proteste zu Mindestlöhnen im Textilsektor

Bereits seit Oktober letzten Jahres gab es starke Proteste, nachdem der Mindestlohn im Textilsektor nach fünf Jahren von 8000 auf lediglich 12.500 Taka (105 Euro) im Monat erhöht wurde. Dieser Hungerlohn ist nicht ausreichend, um allein die Inflation der letzten Jahre aufzufangen. Premierministerin Hasina äußerte sich damals abschätzig gegenüber den Protestierenden[ii] und schenkte der Forderung der Gewerkschaften nach einem Mindestlohn von 23.000 Taka keine Beachtung. Bis zur Regierungswahl im Januar kehrte keine Ruhe in Bangladesch ein. Die Wahlen unter der autoritären Herrschaft Hasinas und ihrer Partei, der Awami-League, wurden international als undemokratisch kritisiert, die größte Oppositionspartei BNP (Bangladesh Nationalist Party) boykottierte die Wahl im Januar.

Militärchef Waker-Uz-Zaman kündigt Übergangsregierung an

Kurz nach dem Rücktritt Hasinas kündigt der Militärchef Waker-Uz-Zaman an, eine Übergangsregierung bilden zu wollen. Er möchte die Gewalt beenden und hoffe auf eine Besserung der Lage.[iii] In seiner ersten Rede kündigte er an, mit der wichtigsten Oppositionspartei, der BNP, und Vertreter*innen der Zivilgesellschaft sprechen zu wollen. Gespräche mit der Awami-League seien nicht geplant. Außerdem kündigte er an, die Ausschreitungen der letzten Wochen untersuchen und Verantwortliche der Morde zur Rechenschaft ziehen zu wollen.[iv] Die EU spricht sich für einen geordneten und friedlichen Übergang zu einer demokratisch gewählten Regierung unter uneingeschränkter Achtung der Menschenrechte und der demokratischen Grundsätze aus.

Auswirkungen der Unruhen auf die Beschäftigten im Textilsektor

Als Reaktion auf die Proteste verhängte die Regierung landesweite Ausgangssperren und forcierte einen Internet Blackout. Zudem wurden die Tage vom 21. bis 23. Juli und der 5. August einmalig zu nationalen Ruhetagen erklärt. Diese Maßnahmen haben auch Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Arbeit in den Textilfabriken, in denen das Prinzip „no work, no pay“ (keine Arbeit, kein Lohn) herrscht. Unsere Partnerorganisationen äußern Bedenken darüber, ob die Arbeiter*innen die vollen Löhne für Juli und August ausgezahlt bekommen, da die Fabriken zeitweise geschlossen wurden.[v] Der mögliche Lohnausfall würde sich negativ auf die ohnehin finanziell kritische Lage vieler Textilarbeiter*innen auswirken. FEMNET fordert daher alle in Bangladesch einkaufenden Unternehmen auf, mit ihren Lieferant*innen in Kontakt zu treten und sicherzustellen, dass alle Arbeiter*innen ihren vollen Lohn erhalten.

Viele Menschen in Bangladesch hegen nun die Hoffnung, dass sich die wirtschaftliche Lage des Landes mit einer demokratisch gewählten Regierung verbessert und auch Fabrikbesitzer*innen sind zuversichtlich, dass sich ihre Export-Performance zukünftig steigern wird. Doch bis das Land zurück zur Normalität zurückfindet, wird einige Zeit vergehen. Viele Fabriken sind beschädigt und durch die Proteste sind Verzögerungen bei Lieferungen zu erwarten.[vi] Die Marken müssen nun Geduld haben und ihre Lieferant*innen bestmöglich unterstützen, ohne sie durch die Forderung nach Einhaltungen von Deadlines oder Auftragsstornierungen zusätzlich zu belasten. Somit sollte sichergestellt werden, dass es keine Arbeits- bzw. Lohnausfälle gibt oder Arbeiter*innen nach dem Öffnen der Fabriken Überstunden leisten müssen.

 

Quellen

[i] https://www.aljazeera.com/news/2024/8/4/more-than-20-killed-as-bangladesh-protesters-renew-call-for-hasina-to-quit

[ii] https://femnet.de/aktuelles/nachrichten/aus-den-produktionslaendern/106-nachrichten-aus-bangladesch/4624-die-zukunft-bangladeschs-was-wird-aus-den-menschen-die-unsere-kleidung-naehen.html

[iii] https://www.abc.net.au/news/2024-08-05/bangladesh-pm-resigns-following-protests/104186664

[iv] https://www.tagesschau.de/ausland/korrespondenten/bangladesch-ausschreitungen-premier-100.html

[v] https://www.sueddeutsche.de/politik/bangladesch-premier-hasina-ruecktritt-flucht-lux.6AZdjrs4RZH2yCKMVQfLm1

[vi] https://www.yahoo.com/news/bangladesh-turmoil-comes-next-apparel-214230275.html?guccounter=1

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