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Moderne Sklaverei in indischen Spinnereien

Junge Frauen im Alter von 14-18 Jahren werden in hochmodernen Spinnereien wie Sklavinnen gehalten. Mädchen und junge Frauen – häufig aus der Kaste der Dalits, den ‚Unberührbaren’ – werden für drei Jahre und mehr an Textilfabriken im Süden Indiens verpflichtet. Sie erhalten nicht einmal den Mindestlohn. Am Ende der Arbeitszeit, die nur selten durch Verträge geregelt ist, gibt es eine Prämie – oft nur wenige hundert Euro. Bis vor kurzem wurde diese Form der Sklaverei als Sumangali (Glückliche Braut) bezeichnet, denn die Prämie sollte als Brautpreis dienen. Inzwischen werben die Spinnereien nicht mehr mit dem Begriff, die Arbeitsbedingungen haben sich jedoch nicht verändert. Hält ein junges Mädchen die Vertragszeit mit unmenschlichen Arbeitsbedingungen nicht durch, hat sie nicht immer einen Anspruch auf Auszahlung der Prämie.

Strukturelle Ausbeutung

Es gibt ca. 2.200 Spinnereien in Tamil Nadu mit rund 250.000 jungen Frauen als Beschäftigte, 80% davon werden unter dem Sumangali System ausgebeutet. Rund 20% der Fabriken sind besser, haben kein Sumangali System. Einige wenige davon (23) gehören der Regierung, die die Frauen auch besser bezahlt.

Aus 29 von 32 Distrikten in Tamil Nadu kommen die weiblichen Arbeitskräfte in die Spinnereien. Sie stellen rund 60% aller Beschäftigten, die anderen 40% kommen aus anderen Provinzen Indiens, z.T. weit aus dem Norden, den ärmsten Regionen.

Spinnereien laufen 24 Stunden an sieben Tagen, sie werden nachts und sonntags nicht abgeschaltet, deshalb gibt es in den Spinnereien drei Arbeitsschichten à acht Stunden, also auch eine Nachschicht. (Per Gesetz ist Nachtarbeit –zwischen 19 Uhr und 6 Uhr - für Frauen verboten.)

Audits in Spinnereien: nur rund 10% aller Spinnereien werden auditiert.

Begriffsdefinitionen

Sumangali: bedeutet auf Tamil „Glückliche Braut“. Spinnereibesitzer haben das Wort missbräuchlich für ihre Zwecke genutzt. Sie versprachen den jungen Mädchen nach 3-4 Jahren Arbeit in einer Spinnerei so viel Geld zu verdienen, dass sie dafür ihre Mitgift finanzieren und so verheiratet werden können. Halten die Mädchen so lange durch, wird in Wirklichkeit das verdiente Geld eher zur Begleichung von Schulden der Eltern, für Krankenkosten und eher selten für die Mitgift verwendet. Aufgrund der scharfen Kritik verwenden die Fabrikbesitzer heute nicht mehr das Wort.

Camp Labour System: Stattdessen wird dieses Wort nun benutzt. Die schlimmen Arbeitsverhältnisse haben sich dadurch nicht verändert. Das Wort „camp“ macht deutlich, dass die jungen Mädchen wie Sklavinnen auf dem Fabrikgelände in einem sog. Hostel wohnen und keine Bewegungsfreiheit haben. Sie können die Fabrik nicht ohne Erlaubnis verlassen. Sie erhalten inzwischen auch monatliche kleine Zahlungen.

Moderne Sklaverei: Camp Labour ist eine Form moderner Sklaverei, da Zwangsarbeit verrichtet werden muss.

Zwangsarbeit: Die ILO hat eine Liste von Kriterien für Zwangsarbeit erstellt (PDF-Datei). Drei Kriterien treffen genau auf die Zwangsarbeit in Spinnereien zu:

  • Keine Bewegungsfreiheit (Physical confinement in the work location);
  • Psychologischer Zwang (Psychological compulsion, i.e. an order to work, backed up by a credible threat for non-compliance).
  • Irreführung oder falsche Versprechen über die Art der Arbeit (Deception or false promises about types and terms of work)

Vor-Ort Recherchen von Gisela Burckhardt

FEMNET-Vorstandsvorsitzende Gisela Burckhardt reiste mehrfach nach Indien um Fakten zu diesem Ausbeutungssystem zu recherchieren.

Das System „Sumangali“ wurde erst nach dem Jahr 2000 breit eingeführt. Die Spinnereien nahmen zu und die Industrie brauchte billige Arbeitskräfte und erfand Sumangali. Junge Mädchen im Alter von 15 Jahren aufwärts werden als „Lehrlinge“ für 3-4 Jahre eingestellt, so dass man ihnen weniger bezahlen kann. Faktisch erhalten die Frauen nicht einmal ein Training/eine Einweisung, schon gar nicht eine Einweisung in Sicherheitsmaßnahmen, und sie arbeiten als normale Arbeitskräfte.

Die Mädchen im Alter von 15/16 Jahren erhalten einen sehr geringen Lohn und das Versprechen, dass sie nach 3-4 Jahren Arbeit eine feste Summe von 30-40.000 Rupies  (ca. 394,- bis 533,- EUR) erhalten. Angeblich soll das Geld für die Mitgift sein für eine Heirat des Mädchens, doch fast alle jungen Frauen (16 Interviewte), die wir befragten, nutzten das Geld für andere Bedürfnisse. Sie geben in der Regel das Geld ihren Eltern, die davon Schulden oder Krankheitskosten o.ä. bezahlen.

Viele Mädchen halten aber nicht 3-4 Jahre in der Spinnerei aus, sondern scheiden schon nach 1-2 Jahren aus. Meistens werden sie um die korrekte Summe dann betrogen und erhalten oft weniger oder auch gar keine Gesamtsumme.

Alle befragten Mädchen waren 8-10 Jahre zur Schule gegangen, was aber oft nur heißt, dass sie gerade mal lesen können, nicht unbedingt schreiben außer ihrer Unterschrift.

Sumangali ist verbunden mit der Unterbringung in einem „Hostel“, wo die Mädchen in einem kleinen Zimmer (12 qm) zu zwölft schlafen. Sie liegen auf dem Boden, eine neben der anderen, oft dicht aneinander gedrängt, jede auf einem etwas dickerem Baumwolltuch, zugedeckt mit einem Laken. Nicht jede hatte ein eigenes Kopfkissen. Sie wirkten auf mich wirklich wie Sklavinnen, aber man muss in Betracht ziehen, dass die meisten Inder auf dem Boden ohne Matratze schlafen. Ich sah ein paar Schlafräume, wo die Mädchen am Tag schliefen, das Laken über den Kopf gezogen, weil sie Nachtschichten hatten. Vor allem die Mädchen, die von weither kommen, keine Verwandten in der Nähe haben und unter Sumangali System arbeiten, werden für Nachtschichten eingesetzt.

Die Kosten für die Unterbringung und drei – schlechte- Mahlzeiten (ca. 800,- Rupies/Monat) werden den Mädchen vom Lohn abgezogen!

In vielen Hostels gibt es keinen Ventilator an der Decke, es ist heiß zu zwölft in einem Zimmer. Für 24 Mädchen gibt es oft nur einen Waschraum, bei den Schichtwechseln gibt es Gedränge.

Die Mädchen sind wie Sklavinnen eingesperrt und dürfen nicht raus aus der Fabrik. Nur zweimal im Jahr können sie für 1-2 Tage nach Hause, um ihre Eltern zu besuchen, müssen die Tage aber nacharbeiten. Die Eltern dürfen ihre Kinder alle 1-2 Monate in der Fabrik für ca. eine Stunde besuchen.

Nach 3-4 Jahren unter Sumangali in einer Spinnerei haben viele Frauen Fehlgeburten oder werden nicht schwanger. Männer wollen oft keine Frauen heiraten, die in Spinnereien gearbeitet haben, weil bekannt ist, dass sie Probleme haben, Kinder zu bekommen.

Die Mädchen beginnen mit 15 Jahren (bis 14 Jahre ist Beschäftigung verboten, da Kinderarbeit), aber es gibt sogar vereinzelt unter 14-jährige Beschäftigte. Die Beschäftigung von jungen Menschen zwischen 15-18 Jahre (Abolition of Child Labour Act) ist unter bestimmten Bedingungen erlaubt, dies wird von der Industrie ausgenutzt, um die Mädchen auszubeuten.

Junge Mädchen wehren sich nicht und tun, was ihnen die Aufseher sagen. Gewerkschaften gibt es nicht in den Fabriken, da sie nicht für Lehrlinge zuständig sind!

Arbeitsbedingungen/Arbeitsrechtsverletzungen

  • Nachtarbeit
  • Mädchen haben oft keinen freien Tag, arbeiten 7 Tage in der Woche
  • Keine Bezahlung von Überstunden, die Mädchen werden je nach Bedarf einfach eingesetzt, intransparente Bezahlung, unklar welche Abzüge wofür gemacht werden.
  • Kein Urlaub (nur 2 x im Jahr dürfen die Frauen für 1-2 Tage nach Hause)
  • Übermüdung wegen Überstunden und Nachtschichten. Eine Frau sagte „Sie geben uns eine Spritze, wenn wir müde sind und nicht gut arbeiten“.
  • Schlechtes Essen. Viele Mädchen sind unterernährt, leiden unter Blutarmut (Anämie)
  • Arbeit unter permanentem Druck, Mädchen haben kaum Zeit auf die Toilette zu gehen, jeder Gang wird notiert, keine darf zu lange weg bleiben. Wenn sie auf die Toilette geht, muss ihre Kollegin ihre Arbeit übernehmen, dadurch lastet ein noch größeren Druck auf ihr.
  • Bei vielen Mädchen bleibt die Periode aus (eine Frau berichtete, dass sie von 16-19 Jahre in einer Spinnerei arbeitete und erst danach setzet bei ihr die Periode ein) oder ist sehr unregelmäßig. Alle klagten über Bauchschmerzen, nicht nur während der Periode. Um Tabletten zu kaufen, dürfen sie die Fabrik nicht verlassen, die Aufseher geben ihnen irgendetwas.
  • Eine Frau berichtet: Nur wenn sie ihre Binde mit Blut vorzeigt, also nachweist, dass sie ihre Periode hat, darf sie eine etwas längere Pause machen
  • Wer zu spät kommt, dem wird ein ganzer Tageslohn abgezogen
  • Es gibt in den Spinnereien keinen Arzt, nicht einmal eine Krankenschwester
  • Viele Frauen entwickeln Allergien an den Händen
  • Beschimpfungen sind häufig, sexuelle Belästigungen kommen auch vor, supervisors sind alles Männer
  • Frauen sind der Willkür der Aufseher ausgeliefert, er kann ihnen schwere Arbeiten zuteilen, wenn sie sich nicht mit ihm gut stellt.
  • Selbstmordfälle gibt es. Die Mädchen ertragen die Arbeitsbedingungen nicht mehr und das Sklavendasein, ohne Bewegungsfreiheit
  • Vergewaltigungen gibt es einige, eher wenig. In einem Fall kam ein Mädchen nach der Nachtschicht nicht zurück in den Schlafraum, andere suchten nach ihr. Es hieß, sie hätte eine leichte Verletzung und sei im Krankenhaus, am Tag darauf war sie tot, ohne dass eine offizielle Untersuchung durchgeführt wurde.

Bezahlung (Stand 2013):

Die Mädchen erhalten weniger als den Mindestlohn. Bei Bezahlung eines Mindestlohns würden die Mädchen nach drei Jahren 2446,- Euro erhalten: 196,- Rs/Tag x 26 Tage = 5096,- Rs/Monat x12 = 61.152 x 3 Jahre= 183.456 Rs (= 2446,- EUR) Faktisch erhalten sie aber: 1200,- Rs/Monat netto (46,- Rs./Tag) nach Abzug von Hostalkosten und Essen  x 12 Monate = 14.400,- x 3 Jahre= 43.200,- Rs (= 576,- EUR) plus 30.000,- Rs Lumpsum (394,- EUR) = 970,-EUR.  

Also: Statt 2446,- EUR erhalten sie 970,- EUR nach 3 Jahren Schufterei.

Forderungen der NGOs in Tamil Nadu

  1. Abschaffung des Sumangali Systems
  2. Keine Beschäftigung von Jugendlichen unter 18 Jahren unter dem Vorwand einer Lehrzeit
  3. Keine Nachtarbeit für junge Frauen
  4. Einführung eines Komittees gegen sexuelle Belästigung in jeder Fabrik laut kürzlich (2013) verabschiedetem Gesetz
  5. Erhöhung des Mindestlohns für Lehrlinge von 196,- Rs/Tag (2,61 EUR) auf 300,- Rs/Tag (4,- EUR)
  6. Bestrafung von Dealern, die den Mädchen bzw. deren Eltern falsche Versprechungen über die Arbeit in den Spinnereien machen und eine Kommission pro Mädchen von der Fabrik (2.000,- Rs.) erhalten
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