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Die versteckten Kosten der Mode: Struktureller Wandel für die Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Bekleidungs- und Schuhfabriken notwendig

Dieser Gastbeitrag ist von unseren Partnerorganisationen CIVIDEP und TURC anlässlich des Internationalen Frauentags 2025 verfasst worden.

Der Weltfrauentag 2025 läuft international unter dem Motto #AccelerateAction und so ist es von entscheidender Bedeutung, sich mit den systemischen und strukturellen geschlechtsspezifischen Vorurteilen auseinanderzusetzen, die in globalen Lieferketten verankert sind. Frauen in Bekleidungs- und Schuhfabriken sind nach wie vor einem erhöhten Risiko von geschlechtsspezifischer Gewalt und Gesundheitsgefahren ausgesetzt. Dennoch werden ihre spezifischen Bedürfnisse in rechtlichen Rahmenbedingungen, Unternehmensrichtlinien und Arbeitsplatzstrukturen konsequent übersehen.

Die Multi-Actor-Partnership (MAP) zu Gender und Gesundheit in der Bekleidungs- und Schuhbranche, bestehend aus Cividep India, TURC Indonesia, FEMNET und SÜDWIND, versucht, diese Ungerechtigkeiten durch politische Interessenvertretung und arbeitnehmerorientierte Lösungen anzugehen. Die Ergebnisse unterstreichen den dringenden Bedarf an Leitlinien für geschlechtergerechten Arbeitsschutz (G*OSH), um sowohl körperliche als auch psychische Gesundheitsprobleme anzugehen.

Geschlechtsspezifische Gewalt und Gesundheitsrisiken in Bekleidungs- und Schuhfabriken

Blutabnahme in einem Health Camp © CIVIDEPBlutabnahme in einem Health Camp © CIVIDEPArbeiter*innen sind an ihren Arbeitsplätzen, auf dem Weg zur Arbeit und sogar in den von der Fabrik bereitgestellten Unterkünften mehreren Risiken ausgesetzt. Diese Risiken reichen von verbalem Missbrauch und körperlicher Einschüchterung bis hin zu sexueller Belästigung. Gesundheitsgefahren, die sich aus den Arbeitsbedingungen ergeben, sind ebenso weit verbreitet.

Probleme der reproduktiven Gesundheit: Die Angst vor Vergeltungsmaßnahmen hindert die Arbeiter*innen daran, wichtige Toiletten- und Trinkpausen einzulegen, was zu chronischen Harnwegsinfektionen (HWI) und Menstruationsstörungen führt. Schwere Fälle haben zu Fehlgeburten, Zwangsabtreibungen und sogar zu frühen Hysterektomien aufgrund übermäßiger Belastung geführt.

Mangelnde Hygiene und medizinische Unterstützung: Schlechte sanitäre Einrichtungen und unzureichende Gesundheitseinrichtungen tragen zu einer langfristigen Verschlechterung der reproduktiven und allgemeinen Gesundheit bei. Viele werkseitig zur Verfügung gestellte Hostels halten auch grundlegende Hygienestandards nicht ein, was die Gesundheitsrisiken verschärft.

Auswirkungen von Belästigung am Arbeitsplatz auf die psychische Gesundheit

Eine Arbeiterin aus Indonesien sagt: "Was die Arbeit stressig macht, ist die harte Behandlung und die ständige Beschimpfung durch unserer Vorgesetzten."

Stress am Arbeitsplatz ist eine stille Epidemie unter Frauen* in der Branche. Befragungsdaten von Arbeiter*innen (Cividep und TURC) deuten darauf hin:

  • 87 % leiden unter chronischem Stress, der ihre Konzentration und Arbeitseffizienz beeinträchtigt.
  • 66 % berichten von Appetitlosigkeit aufgrund psychischer Belastung.
  • 54 % leiden an Schlaflosigkeit, die zu langfristigen gesundheitlichen Komplikationen führt.
  • 68 % leiden unter wiederkehrenden Kopfschmerzen, die mit Stress und Angstzuständen verbunden sind

Trotz dieser alarmierenden Statistiken bietet das Fabrikmanagement nur selten Unterstützung für die psychische Gesundheit an. Die Belastung durch unbezahlte Betreuungsarbeit zu Hause verschärft den Stress der Frauen* weiter und zwingt sie, ausbeuterische Arbeitsumgebungen mit wenig Rückgriff zu ertragen. "Manchmal hält uns der Druck, Produktionsziele zu erreichen, nachts wach, und das wirkt sich auf unseren Appetit aus. Mein Mann glaubt, dass ich mir mehr Sorgen um die Arbeit mache als um unsere Familie", sagt eine Textilarbeiterin.

Systemische Machtungleichgewichte und Ausbeutung am Arbeitsplatz

Die Rolle der Marken

Die unerbittliche Nachfrage der Fast Fashion nach niedrigen Produktionskosten und schnellen Lieferzeiten schürt ein ausbeuterisches Umfeld, in dem

  • Vorgesetzte Einschüchterungstaktiken nutzen, um unrealistische Ziele durchzusetzen.
  • Lohndruck und Vertragsunsicherheit die Arbeiter*innen davon abhalten, ihre Stimme zu erheben.
  • Die Androhung von Entlassung oder das Führen von roten Listen zwingt Frauen*, unsichere Bedingungen schweigend zu ertragen.

Mangelnde Verhandlungsmacht der Arbeiter*innen

Marken und Zulieferer haben unverhältnismäßig viel Macht über die Arbeiter*innen, so dass sie nur wenige Möglichkeiten haben, Wiedergutmachung zu erhalten. Das Fehlen starker, unabhängiger Gewerkschaften verschärft dieses Machtgefälle. Staatlicher Arbeitsschutz existiert zwar auf dem Papier, wird aber in der Praxis nur selten durchgesetzt.

Heimarbeit: ein extremerer Fall von Ausbeutung

Frauen*, die von zu Hause aus arbeiten, oft mit informellen Verträgen, sind noch stärker gefährdet.

  • Sie haben keinen Rechtsschutz oder Zugang zu Leistungen der sozialen Sicherheitssysteme.
  • Isolation hindert sie daran, Missbrauch zu melden.
  • Mangelnder Zugang zur Gesundheitsversorgung verschlimmert körperliche und psychische Gesundheitszustände.

Die Initiative von TURC zur Schaffung von Stellen für Arbeitsmediziner*innen bietet ein Interventionsmodell, das Gesundheitsuntersuchungen und Unterstützungsdienste anbietet, die auf Heimarbeiter*innen zugeschnitten sind.

Leitlinien für geschlechtergerechten Arbeitsschutz (G*OSH)

Die MAP-Initiative bringt konkrete Empfehlungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen* voran:

  • Stärkung von betrieblichen Ausschüssen mit frauengeführten Führungsteams, um Belästigung und Gesundheitsbedenken anzugehen.
  • Sensibilisierungsprogramme für Männer* zur Förderung einer Null-Toleranz-Kultur gegenüber geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung (GBVH).
  • Erweiterte gesundheitliche Leistungen in den Bereichen reproduktive Gesundheit, psychisches Wohlbefinden und ergonomische Risiken.

Die Verantwortung für die Gewährleistung eines sicheren Arbeitsplatzes liegt bei mehreren Akteuren, darunter Marken, Fabrikleitung, Regierungen und internationale Aufsichtsbehörden. Trotz der bestehenden Arbeitsgesetze in Indien und Indonesien, die sich mit der Arbeitssicherheit befassen, konzentrieren sich diese Gesetze auf die physische Sicherheit, ohne eine geschlechtersensible Perspektive zu berücksichtigen. Die Fabrikleitung vernachlässigt es auch, das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Gewalt zu schärfen, so dass die Arbeiter*innen nicht über ihre Rechte informiert werden.

Insbesondere Marken müssen Verantwortung übernehmen, indem sie faire Preise und längere Vorlaufzeiten für Lieferanten sicherstellen und so den Druck verringern, der ausbeuterische Praktiken anheizt. Strengere europäische Vorschriften und internationale Richtlinien sind notwendig, um Marken für unethische Arbeitsbedingungen zur Rechenschaft zu ziehen.

Das MAP-Team hat diese strukturelle Lücke erkannt und in Konsultationen mit verschiedenen Interessengruppen der Lieferkette und Arbeitnehmern einen Leitfaden für geschlechtergerechte Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (G*OSH) entwickelt. Ziel dieser Konsultationen war es, sicherzustellen, dass die Leitlinien praktikabel und inklusiv sind.

Die Leitlinien plädieren für die Bildung und Stärkung von fest etablierten Ausschüssen in den Fabriken, um eine gleichberechtigte Vertretung der Arbeiter*innen und des Managements bei einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis zu gewährleisten. Von Frauen* geführte Komitees können dauerhafte Veränderungen bewirken, indem sie den Arbeitnehmer*innen das Selbstvertrauen geben, ihre Stimme zu erheben. Darüber hinaus sind transparente Meldemechanismen, Schulungen am Arbeitsplatz und branchenweite Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung, um geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern.

Die Occupational Health Unit Post von TURC bietet ein Modell für praktische Interventionen und bietet alle drei Monate kostenlose Gesundheitsuntersuchungen für Heimarbeiter*innen an. Diese Initiative hat gezieltere Interventionen und einen verbesserten Zugang zur Gesundheitsversorgung für einige der am stärksten gefährdeten Arbeitnehmer*innen in der Lieferkette ermöglicht.

Schlussfolgerung

Frauen* in der Bekleidungs- und Schuhindustrie bilden das Fundament der Weltwirtschaft, doch ihre Grundrechte auf Gesundheit, Sicherheit und Würde sind nach wie vor in Gefahr. Ein Systemwandel ist längst überfällig. Die Zeit zum Handeln ist jetzt.

Lassen Sie uns an diesem Weltfrauentag in Richtung einer Welt #AccelerateAction, in der die Frauen* hinter der Mode nicht mehr unsichtbar sind. Marken, politische Entscheidungsträger und Verbraucher*innen müssen sich zu fairen und geschlechtergerechten Arbeitsplätzen verpflichten. Denn hinter jedem Stich und jedem Schritt steckt eine Frau, die Gesundheit, Respekt und eine Zukunft frei von Ausbeutung verdient.

 

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