Geschlechtsspezifische Diskriminierung von Arbeiter_innen in der Textilindustrie
In der Bekleidungsindustrie ist ein deutlicher Trend zu erkennen, dass immer mehr Frauen beschäftigt werden. Gleichzeitig findet eine Zunahme von informellen und flexiblen Arbeitsverhältnissen statt. Dies ist das Resultat von Veränderungen im globalisierten Bekleidungsmarkt. In diesem existiert ein erhöhter Produktions- und Kostendruck, nationale Gesetzgebungen sind, mehr Unternehmer*innen- als Arbeiter*innen freundlich. Die Fabriken benötigen eine Vielzahl an günstigen Arbeitskräften. Die Umsetzung von arbeitsrechtlichen Schutzmaßnahmen stellt aus Unternehmersicht einen hohen Kostenfaktor und Wettbewerbsnachteil dar, deshalb wird die Umsetzung dieser Schutzmaßnahmen weder von Unternehmen noch von Regierungen bereitwillig verfolgt.
In vielen Gesellschaften erfahren Frauen in unterschiedlichen Bereichen, wie z. B. in der Familie und vor dem Gesetz, immer wieder Diskriminierung Sie haben schlechteren Zugang zu wichtigen sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Ressourcen. Diese entscheiden über die individuellen Möglichkeiten eines Menschen innerhalb einer Gesellschaft. Nicht selten werden sie gegen ihren Willen verheiratet oder müssen die Schule abbrechen und leben als Konsequenz davon in Armut. Es kommt aber auch vor, dass gut ausgebildete Frauen keine Arbeit in ihren erlernten Berufen finden, z.B. wenn die Wirtschaft des jeweiligen Landes nicht genügend weibliche Arbeitsplätze bereitstellen kann. Der Textilsektor bietet Frauen potenziell eine Arbeitsmöglichkeit.
Der niedrige soziale Status von Frauen, welcher in vielen Ländern verankert ist, in Kombination mit einer fehlenden bzw. schwachen politischen Lobby, ist ein gewichtiger Aspekt für die Einstellung von Frauen als Arbeiter*innen in der Bekleidungsindustrie. Somit wird legitimiert, dass Frauen beispielsweise geringere Löhne als Männern gezahlt werden und sie bekommen seltener formelle oder langfristige Arbeitsverhältnisse angeboten. Zudem werden ihnen über die Geschlechterrollen bestimmte Fähigkeiten, Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben bzw. abgesprochen, die sie im Verlauf ihres Lebens verinnerlichen und die die Form und den Umfang einer möglichen Arbeit mitbestimmen.
In der Bekleidungsindustrie wird zunehmend in Heimarbeit bzw. in informellen Arbeitsverhältnissen gearbeitet, weil die Arbeit dort billiger ist. Um überhaupt etwas für den Lebensunterhalt verdienen zu können, müssen Frauen diese Form des Arbeitsverhältnisses akzeptieren. Im Gegensatz zu formell Beschäftigten in Produktionsstätten haben diese Frauen häufig keine oder mangelhafte Arbeitsverträge und bekommen keinen verlässlichen Lohn. Sie werden meist nach Stückzahl bezahlt und bekommen ihren Lohn oftmals verspätet. Zudem haben sie keine geregelten Arbeitszeiten und haben keinen Zugang zu betrieblichen Sozialleistungen wie Kranken- oder Arbeitslosenversicherung. Aufgrund der Bezahlung nach Stückzahlen kann es vorkommen, dass ganze Familien, also auch die Kinder bei der Produktion mithelfen um eine möglichst hohe Stückzahl zu erzielen.
Frauen werden häufig in Bezug auf ihren Lohn, Weiterbildung und Beförderung diskriminiert. In den Produktionsstätten gelten klare Hierarchien, Frauen arbeiten meist auf der ausführenden Ebene, während die Männer oftmals als Führungskräfte arbeiten. Schaffen es Frauen doch in eine der höheren Positionen, fällt es ihnen oftmals schwer sich mit den Männern zu arrangieren und sich gegen die fest verankerten Hierarchien durchzusetzen.
Entschließen sich die Arbeiter*innen für ihre Rechte zu kämpfen und einer Gewerkschaft beizutreten, treffen sie dort auf ähnliche von Geschlechterrollen geprägte Strukturen, die es ihnen erschweren, Gehör und Unterstützung für ihre Anliegen zu finden und in Führungspositionen zu gelangen. Zudem erfahren sie nicht immer ein solidarisches Verhalten von ihren Kolleg*innen, die befürchten, dass sich der Widerstand negativ auf alle auswirken kann.
Durch die weit verbreiteten Hierarchien in den Produktionsstätten erfahren viele Frauen, neben verbaler Gewalt durch Vorgesetzte auch immer wieder physische Gewalt. Diese reicht von extensiven Leibesvisitationen bis hin zu sexuellem Missbrauch. Als Resultat können Frauen emotions- und stressbedingte Krankheiten entwickeln und erleiden körperliche wie seelische Verletzungen, die auch zum Tode führen können. Dabei ist sexualisierte Gewalt nicht zwangsläufig nur ein Mittel um den steigenden Produktionsdruck weiterzugeben, sondern findet auch außerhalb dieses Kontext als Ausdruck von Machtunterschieden, welcher mit Geschlechterrollen verknüpft ist, statt. Ein Beispiel für die hier beschriebenen Missstände in der Bekleidungsindustrie ist das Camp-Labor-System (ehemals Sumangali, bedeutet auf Tamil „glückliche Braut“). Hierbei werden junge Frauen im Alter von 14-18 Jahren von Vermittlern in die Spinnereien gelockt um dort zu arbeiten. Sie arbeiten dort 3 Jahre lang unter miserablen Umständen und zu geringstem Lohn, um am Ende die Mitgift für ihre Hochzeit bezahlen zu können.
In den meisten Produktionsländern von Kleidung gibt es einen gesetzlich festgeschriebenen Mutterschutz. Jedoch sind nur wenige schwangere Frauen in der Lage diesen auch für sich zu beanspruchen. Die Arbeitgeber müssen für schwangere Frauen Mutterschutz-Leistungen bezahlen, was ihnen Kosten verursacht und zudem fehlen sie als Arbeitskräfte.
Aus diesem Grund machen es Arbeitgeber zum Teil zur Bedingung für die Einstellung von Frauen, dass diese nicht schwanger werden dürfen. Diejenigen, die schwanger werden, sind oft einem enormen Druck ausgesetzt, die Schwangerschaft so lange wie möglich zu verheimlichen, um eine Kündigung zu vermeiden. Dies hat Folgen für die Arbeiter*innen und die ungeborenen Kinder: neben potenzieller Mangelernährung und unzureichender medizinischer Betreuung bleiben diese Frauen im Zweifel an ihren gefährlichen Arbeitsplätzen und gefährden so ihre eigene und die Gesundheit des Ungeborenen. Verbaler Missbrauch, erhöhte Produktionsquoten, verlängerte Arbeitszeiten, langes Stehen sind besonders für Schwangere schwierigen Aufgaben. Dies hat zur Folge, dass die Schwangeren ihre Arbeitsstelle von sich aus kündigen und in ihre Heimatstädte zurückkehren, statt bezahlten Mutterschaftsurlaub einzufordern. Kehren sie dann an ihre alte Arbeitsstätte zurück, werden sie als neu rekrutierte Arbeiterinnen ohne die zuvor erarbeiteten Boni eingestellt.
Die Arbeiter*innen wissen zum größten Teil nicht, welche Rechte und Leistungen ihnen überhaupt zustehen. Andererseits verzichten diejenigen, die über ihre Rechte Bescheid wissen, häufig auf die Einforderung von Leistungen, da sie auf die Verdienste aus erarbeiteten Zusatzzahlungen, die nicht über den Mutterschutz-Beitrag abgedeckt werden, angewiesen sind oder langfristige Nachteile wie den Jobverlust fürchten.
Die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen haben auch Auswirkungen auf die Gesundheit und das Lebensumfeld der Arbeiter*innen. Die schlechte Bezahlung führt u.a. dazu, dass Frauen häufiger unter- bzw. mangelernährt sind, in schlechteren Unterkünften leben, und wenig bis gar keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben. Überstunden, die die Frauen wegen der schlechten Bezahlung machen müssen, erhöhen den Stress und die Erschöpfung und machen sie anfälliger für Krankheiten und Arbeitsunfälle.
In den Produktionsstätten mangelt es zudem oftmals an sanitären Einrichtungen, dies stellt gerade für Frauen ein großes Problem dar. Während Menstruation und Schwangerschaft ist das Vorhandensein von hygienisch einwandfreien Sanitäranlagen von enormer Bedeutung. Seltene Toilettengänge, ob durch Einschränkungen von Unternehmer*innenseite oder durch zu wenig vorhandene Anlagen, steigern das Risiko für Blasenerkrankungen bei Frauen. Gerade wenn auf Grund des großen Bedarfs kaum Zeit für notwendige Reinigungsmaßnahmen bleibt, lässt sich z.B. die Verbreitung von Infektionskrankheiten kaum verhindern. Durch die häufig unzureichende Krankenversicherung entstehen den Arbeiterinnen so gesundheitliche wie finanzielle Schäden, die nicht kompensiert werden können.
Für den Weg zur und von der Arbeit sind Frauen häufig auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen oder sie laufen zu Fuß, um Kosten zu sparen. Wenn sie Überstunden bis spät in die Nacht leisten müssen, besteht die Gefahr, dass sie auf dem Nachhause-Weg vergewaltigt werden. Frauen in Südasien berichten immer wieder davon. U.a. durch die geringere soziale Kontrolle und einen eher männlich dominierten öffentlichen Raum steigt das Risiko für Frauen Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden.
In vielen Gesellschaften, die von starken Geschlechterrollen und -hierarchien geprägt sind, liegt die Hauptverantwortung für Haushalt und Kinder bei den Frauen – unabhängig davon, ob sie zusätzlich einer Erwerbsarbeit nachgehen. Die somit entstehende Doppelbelastung wirkt sich auf die Möglichkeit für die Erwerbsarbeit aus; die Form und der Umfang der Erwerbsarbeit hat aber auch im gleichen Maße Einfluss auf das Privatleben der Arbeiter*innen. Insgesamt ist die zur Verfügung stehende Zeit, die u.a. für die Hausarbeit, das tägliche Kochen für die gesamte Familie, die Versorgung von Kindern und Alten, sehr gering. Durch (im schlechtesten Fall unbezahlte und unangekündigte) Überstunden, bedingt durch z.B. kurzfristige Auftragsänderungen, gerät die gesamte Familien- und Haushaltsorganisation schnell durcheinander. Leidtragende dieser Praxis sind neben den Frauen auch die Kinder, für die unter diesen Voraussetzungen keine ausreichende Versorgung sichergestellt werden kann.
Die Frauen, welche sich trotz der wenigen Freizeit gewerkschaftlich engagieren, treffen oftmals im Privaten auf Zurückhaltung und Ablehnung, und müssen auch in diesem Bereich gegen Widerstände ankämpfen. Scheitert eine Beziehung, auch auf Grund des gewerkschaftlichen Engagements, steigt die Belastung für die Arbeiter*innen weiter, da sie zusätzlich die Rolle der Alleinversorgerin der Familie einnehmen müssen.